Die Rolle des CIOs: Von der IT-Delivery zum Strategen

Die Bedeutung der IT-Organisation für die Unternehmensstrategie hat in nahezu allen Industrien aufgrund mehrerer Faktoren stark zugenommen. Einerseits wird aus den operativen Projekten und dem Betrieb gefordert, dass die IT-Organisation effizient funktioniert. Um dies zu erfüllen, müssen ein stabiler Betrieb, Transparenz in der Planung und Zuverlässigkeit in der Projekt-Umsetzung sichergestellt werden. Andererseits müssen CIOs sich zunehmend mit strategischen Fragestellungen des Unternehmens auseinandersetzen. Dieser Themenblock ist maßgeblich davon getrieben, wie die IT die Digitalisierung des Unternehmens fördern und umsetzen kann. Der Artikel beleuchtet die kritischen Erfolgsfaktoren sowie Prioritäten für eine moderne IT-Organisation und zeigt das Spannungsfeld zwischen IT-Betrieb und -Transformation auf.

Keine gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Entwicklung ist mehr ohne die Einbindung effektiver Informationstechnologien denkbar. Dabei gilt es jedoch Potentiale und Risiken miteinander wohlwissend auszubalancieren, denn die Resultate können tiefgreifende Veränderungen hervorrufen – im Positiven wie im Negativen. Es ist daher ein logischer Schluss, gar mittlerweile mehr ein Gemeinplatz, dass die profunde Einbindung von IT-Thematiken in jede Unternehmensstrategie unabdingbar ist.
Dieser strategische Bedeutungsgewinn von technologischen Entscheidern geht jedoch auch mit einer Veränderung des Tätigkeits- und Verantwortungsbereiches einher. Das Aufgabengebiet des IT-Verantwortlichen – des Chief Information Officers (CIO) – erwächst sich nunmehr über die zuverlässige Bereitstellung von IT-Diensten bis hin zur kontinuierlichen Einbettung von aufkommenden Innovationen in das Geschäftsmodell. Es ist offensichtlich, dass diese Bandbreite an operativen und strategischen Themen einer differenzierten Balance bedarf.
Dieses Spannungsfeld lässt sich mit einer Pflicht-Kür-Analogie am ehesten verdeutlichen. Einerseits ist es die Pflicht der IT-Organisation und somit des CIOs, dafür zu sorgen, dass IT-Dienste zuverlässig, effizient und gesichert bereitstehen. Hierzu muss den Risiken wie zum Beispiel Cyber-Gefahren begegnet werden, denen eine vernetzte IT ausgesetzt ist. Der dramatische Anstieg der Ausfälle, die durch Angriffe auf die IT-Infrastruktur ausgelöst wurden, ist ein Beleg für die Notwendigkeit vorbeugender Maßnahmen. Erschwert wird diese Situation dadurch, dass insbesondere im Bereich der Infrastruktur Stückkosten reduziert werden müssen, denn der Kostendruck auf die IT ist nicht zuletzt auf Grund geopolitischer Spannungen und daraus resultierender angespannter Lieferketten gestiegen.
Andererseits ist es die Kür für jede IT-Organisation, bei differenzierenden, strategisch bedeutsamen Digitalisierungsvorhaben ihre Kompetenz einzubringen. Die Vermutung würde nahe liegen, dass insbesondere bei technologieintensiven Vorhaben die eigene IT-Organisation auch ein Teil der Wertschöpfung ist. Die betriebliche Praxis zeigt allerdings, dass allzu oft die „Inhouse-IT“ nur in eingeschränktem Maße eingebunden wird und die Rolle eines Business-Partners nicht gelebt wird.

Der CIO hat einerseits die Pflicht, dafür zu sorgen, dass IT-Dienste zuverlässig, effizient und gesichert bereitstehen. Die Kür für den CIO ist es, Innovationen und bedeutende Digitalisierungsvorhaben zu treiben.

Die Gründe für diese Zurückhaltung sind vielfältig. Zum einen wird oftmals angenommen, dass eine von den Zwängen der Bestandsorganisation entkoppelte Realisierung von Digitalisierungsprojekten eher für die nötigen Freiräume sorgt. Dieses Argument ist insofern richtig, als dass neue Geschäftsmodelle auch neue Ansätze erfordern. Zur Erreichung von Skaleneffekten und gesicherten Betriebsmodellen ist allerdings ein selektiver Integrationsprozess sehr wichtig.
Zum anderen resultiert die Zurückhaltung gegenüber der eigenen IT aus der subjektiven Wahrnehmung und dem „Image“ der eigenen IT-Organisation. Aufgrund von Rückschaufehlern auf die IT-Organisation vor 20 Jahren wird angenommen, dass die effizienzgetriebene IT nicht in der Lage ist, den Anforderungen nach Kreativität und Innovation zu genügen. Diese Wahrnehmung wird nicht nur durch die organisatorische Positionierung ausgelöst, denn dass Digitalvorstände in der C-Suite der Konzerne etabliert sind und nicht lediglich Stabstellen anderer Vorstandsbereiche sind, ist noch längst nicht in allen Industrien der Standard.
Unweigerlich beschleicht einen die Frage, wie CIOs dennoch im beschriebenen Spannungsfeld brillieren können. In einer weltweit angelegten Studie mit 570 Entscheidern auf Vorstandsebene
hat Ernst & Young untersucht, welche kritischen Erfolgsfaktoren IT-Vorstände beachten sollten, um erfolgreich eine IT- respektive Digitalstrategie zu realisieren. Folgend werden die Ergebnisse der Studie ergänzt um Erfahrungen der Autoren in komplexen Transformationsvorhaben.

Strategische Erfolgsfaktoren der IT. Quelle: Ernst & Young

Erfolgsfaktor 1: Geschäftsmodell

In nahezu allen Branchen werden die Geschäftsmodelle von Unternehmen durch Digitalisierung
verändert. Die Änderungen sind beispielsweise in folgenden Bereichen zu beobachten:

Produkte und Dienste werden durch digitale (Mehrwert-)Dienste angereichert. Ein Beispiel hierfür ist der Wandel zu nutzerbasierten Bezahlmodellen. Was im Versicherungsbereich als Telematik-Tarif bekannt ist, ist so auch in nahezu allen Industrien denkbar.1
Kunden erwarten von Unternehmen eine proaktive Betreuung. Durch regenerative Datenmodelle gestützte Bots können so beispielsweise helfen, Kunden zielgerichtete Angebote zu unterbreiten und gleichzeitig die Supply Chain zu entlasten. Lesen Sie hierzu mehr in unserem Interview mit Mercedes-Benz CIO Jan Brecht auf Seite 3 und 4.
Ökosysteme, in denen sich verschiedene Organisationen zusammenschließen, um gemeinsame Werte durch die Orchestrierung komplexer Beziehungen zu schaffen. Die Automobilindustrie hat beispielsweise mit Catena-X ein kollaboratives Datenökosystem geschaffen, um durch das Teilen von Daten der gleichberechtigen Ökosystempartner die Digitalisierung der Lieferketten zu fördern.2
Um konkret in die Geschäftsmodelle des Unternehmens einzusteigen, müssen CIOs systematisch den Dialog „auf Augenhöhe“ mit dem Business aufbauen. Das erfordert einen starken Wandel mit Blick auf die eigene Organisation, da die IT nun folglich nicht mehr ausschließlich Kosten sowie die internen Kunden und Partner im Blick hat, sondern auch die Generierung von Umsätzen sowie die Zusammenarbeit mit externen Kunden und Partnern.

Erfolgsfaktor 2: Daten

Die Fähigkeit zum Management von Datenbeständen ist eine Kernkompetenz der IT. Im Gegensatz zu traditionellen Geschäftsmodellen zeichnet sich das moderne Management von Daten durch mehrere Komplexitätstreiber aus. Erstens ist die Menge und fehlende Strukturierung von Datenmengen exponentiell angestiegen. Neben sehr hohen Rechen- und Speicherkapazitäten sind zunehmend Verfahren gefragt, die eine semantische Analyse erlauben. Zweitens werden die größten Mehrwerte dann gehoben, wenn Datenbestände aus unterschiedlichen Domänen miteinander verbunden werden. Der Aufbau prädiktiver Systeme erfordert neben der technischen auch die organisatorische Befähigung zum Datenaustausch.
Die Fähigkeiten zum Management solcher komplexen Datenbestände wird zum kritischen Erfolgsfaktor für Unternehmen. Um datenzentrische Geschäftsmodelle zu realisieren, müssen Plattformen, Verfahren und Fähigkeiten vom CIO federführend organisiert werden (siehe hierzu den datengestützen Ansatz von OTTO auf S. 7 und 8).

Erfolgsfaktor 3: Disruptive Technologien

Digitale Geschäftsmodelle werden zu einem großen Teil durch disruptive Technologien ermöglicht. Neben mittlerweile etablierten Technologien (z.B. Cloud) müssen hierbei durch CIOs auch Verfahren wie Künstliche Intelligenz mit dem Bestandssystem in Einklang gebracht werden.
CIOs sind im Umgang mit aufkommenden Innovationen gefordert, eine grundsätzliche technologische Kompetenz einzubringen, mittels derer sie das Leistungspotenzial und die damit einhergehende Komplexität einschätzen lässt. Als „oberster Technologe“ sind CIOs allerdings noch stärker darin gefragt, Leitplanken für den Einsatz neuer Technologien zu geben und Hype von Potential trennen zu können. So müssen CIOs beispielsweise für den Einsatz von Low-Code-Plattformen eher eine konkrete Vorstellung von der Einbettung in die IT-Architektur und IT-Governance haben als es bei einer langfristigen zu erwartenden Entwicklung von Quanten-Computing zu erwarten wäre.

Erfolgsfaktor 4: Talente

Der Druck auf IT-Organisationen wächst mit der Knappheit von erforderlichen IT-Kompetenzen. Es zeichnet sich allerdings zunehmend – insbesondere in Deutschland – eine Schere zwischen abstrakten Modellierungskompetenzen einerseits und unspezifischen Commodity-Kompetenzen anderseits ab. Ein Großteil der Unternehmen hat ihre Liefermodelle bereits so geschnitten, dass der Commodity-Anteil über externe Dienstleister (Outsourcer) erbracht werden kann. Eine umso höhere Bedeutung kommt den Modellierungskompetenzen zu, die von eigenem Personal erbracht werden müssen. Hierunter fallen Fähigkeiten zur kreativen Entwicklung und Erfassung von Geschäftsmodellen in einer (semi-)formalen Spezifikation.
Insbesondere bei zunehmender Knappheit von Technologie-Personal sind CIOs gefordert, ein dediziertes Programm für das Management technischer Talente zu etablieren, die die erforderliche Kreativität und die Modellierungskompetenz haben. Gerade das hierzulande produzierende Gewerbe ist hier besonders gefragt, denn die gesuchten Talente sind oftmals nicht bereit, sich den traditionellen Karrierepfaden der Industrie unterzuordnen, neue Ansätze sind hier gefragt.

Erfolgsfaktor 5: Ökosystem

Bei zunehmendem Bedarf nach Orchestrierung komplexer Lieferantenbeziehungen verlagern sich die Kernkompetenzen von IT-Organisationen. Neben der o.a. Modellierungskompetenz muss das IT-Personal ein Verständnis für die Anforderungen der Fachbereiche einerseits und die Kompetenz zur Steuerung von internen sowie externen Lieferanten und Partnern andererseits aufbringen. Für die Bewältigung solch komplexer Fragestellungen wird die Einbindung von Partnern mit spezifischen Kernkompetenzen benötigt. CIOs sind gefordert, eine Strategie für das Management dieses Ökosystems zu definieren und die Umsetzung zu orchestrieren.

Erfolgsfaktor 6: Transformationsprogramm

Um die „zielgerichtete Evolution“ der IT-Organisation in allen relevanten Dimensionen durchführen zu können, müssen schließlich CIOs ein Transformationsprogramm aufsetzen und dieses auch mit persönlicher Präsenz nachverfolgen (s. Interview mit Christian Niederhagemann, GEA, auf S. 5 u. 6).
Erfolgreiche Beispiele belegen, dass eine vom operativen Geschäft entkoppelte Transformation nur selten funktioniert. Erfolgsversprechender sind organisatorische Transformationen, die im Einklang mit der bestehenden Unternehmensstrategie stehen.

Die Autoren:

Dr. Yilmaz Alan ist Partner der Unternehmensberatung Ernst & Young (EY). Er hat zahlreiche Transformationsprojekte in den Industrien Automobil und Telekommunikation sowie im Öffentlichen Dienst und bei Banken & Versicherungen durchgeführt. Dabei hat er CIOs in der Definition und Umsetzung von IT-Strategien unterstützt. Zudem ist Yilmaz Alan Autor zahlreicher Publikationen zu strategischen Fragestellungen in der IT-Industrie und zur Bedeutung disruptiver Technologien.

 

 

Eric Schleich ist Unternehmensberater im Bereich Technology Transformation bei Ernst& Young. Der Schwerpunkt seiner Projekttätigkeit liegt im Bereich des IT-Outsourcings und der IT-Transformation im Rahmen von Carve-Out-Aktivitäten multi-nationaler Konzerne, wobei sein Branchenfokus im Bereich Automotive liegt.