Ein bedeutender Faktor, um die politisch formulierten Klimaziele zu erreichen, ist der Erfolg von Elektromobilität und Ladeinfrastruktur. Über den aktuellen Stand und das Potenzial der batterieelektrischen Mobilität berichtet im folgenden Interview Heiko Seitz, Leiter Elektromobilität und Ladeinfrastruktur von PwC Deutschland.
Die Elektromobilität kommt zunehmend ins Laufen. Die Zulassungszahlen der reinelektrischen Pkw verdoppeln sich jedes Jahr. Gleichwohl weisen Sie in Ihrem aktuellen E-Mobility-Check auf eine drohende Lücke hin. Was ist das für eine Lücke?
Seitz: Gemäß des deutschen Klimaschutzgesetzes muss der Verkehrssektor seinen CO2-Ausstoß bis 2030 signifikant reduzieren. 2045 soll er die Netto-Null erreichen. Damit dies gelingt, hat die Bundesregierung unter anderem folgendes Ziel formuliert: 15 Millionen batterieelektrische Fahrzeuge auf deutschen Straßen und eine Million öffentlich zugängliche Ladepunkte bis 2030. Die Frage lautet: Schaffen wir das? Gemäß unserer Analyse ist die Zielrichtung der Bundesregierung gut, aber unzureichend. Die Elektromobilität nimmt endlich Fahrt auf, aber es gibt noch viel zu tun: Unseren Berechnungen zufolge benötigt Deutschland einen Bestand von fast 16 Millionen Elektroautos bis 2030, um die Sektorenziele zu erreichen. Allerdings erwartet unsere Prognose, dass 2030 lediglich 10,5 Millionen batterieelektrische Fahrzeuge in Deutschland im Bestand sein werden. Somit wird Deutschland die für 2030 im Koalitionsvertrag definierte und zur Erreichung der CO2-Reduktionsziele auch notwendige Zielmarke von E-Fahrzeugen um 5,3 Millionen Pkw verpassen.
10,5 Millionen Elektrofahrzeuge auf Deutschlands Straßen statt 15 Millionen. Das bedeutet dann wohl auch weniger Ladenachfrage. Erledigt sich somit das Problem von Ladeengpässen von selbst?
Seitz: Derzeit werden pro Woche lediglich 330 neue öffentliche Ladepunkte in Betrieb genommen. Bleibt es bei diesem Tempo, gibt es im Jahr 2030 gerade mal 210.000 öffentliche Ladepunkte – statt einer Million. Auch dieses Ziel der Bundesregierung werden die beteiligten Akteure voraussichtlich verfehlen. Aber es gibt auch eine positive Nachricht: Gemäß unserer Analyse braucht es bis 2030 lediglich 340.000 öffentliche Ladepunkte. Sollte die Ausbaugeschwindigkeit nicht zunehmen, dann muss der Anteil an Schnellladepunkten deutlich zunehmen. Denn mit einer höheren Ladegeschwindigkeit lassen sich mehr Fahrzeuge in kürzerer Zeit laden. Das eigentliche Ziel muss es aber sein, zeitnah einen heterogenen Mix an verschiedener flächendeckender Ladeinfrastruktur, inklusive AC/Laternenladen, aufzubauen. Denn schnelles und langsames Laden sind voll komplementäre Anwendungsfälle: Sie befriedigen die unterschiedlichen Ladebedürfnisse in verschiedenen Situationen und stehen nicht im Wettbewerb zueinander. Nachts lade ich zu Hause, tagsüber evtl. im Büro, jederzeit am Straßenrand und an der Laterne. Und unterwegs auf längeren Fahrten an der Schnellladesäule. Wir benötigen ein breites Ladeangebot in der Masse.
Wie können auch private Investoren und Unternehmen sinnvoll von der Politik unterstützt werden, um Investitionen zu tätigen?
Seitz: In Deutschland bewegt sich die Elektromobilität bereits hin zu einem Reifegrad, bei dem Förderungen immer weniger notwendig sein werden – insbesondere dort, wo bis dato die Anzahl an E-Autos exponentiell angestiegen ist. Dies gilt allerdings noch nicht für das gesamte Bundesgebiet. Im Gegenteil: Insbesondere Regionen mit geringerer Kaufkraft verzeichnen einen teils ausbleibenden Ausbau von Ladeinfrastruktur. Die mögliche Konsequenz dort ist eine Elektromobilität als Privileg von Besserverdienern. Da wollen wir weder gesellschaftlich hin, noch will das die Wirtschaft. Denn ist Elektromobilität ein Massenprodukt der breiten Bevölkerung, zahlt sich die Investition in flächendeckende Ladeinfrastruktur aus Betreibersicht auch aus. Staatliche Fördermaßnahmen für den Bau von Ladeinfrastruktur sollten daher differenziert mit geografischem Fokus auf solche Regionen geschehen, in denen der Ausbau noch nicht ausreichend angekommen ist.
Wasserstoff erlebt gerade vielleicht den endgültigen Durchbruch. Im Gegensatz zu den Nutzfahrzeugen scheint bei den Pkw die Entscheidung gegen die Brennstoffzelle gefallen. Oder sollte man die Technologie noch nicht abschreiben?
Seitz: Batterieelektrische Mobilität ist in puncto Energiebilanz und Wirkungsgrad alternativen
Antrieben wie wasserstoffbetriebenen Brennstoffzellenfahrzeugen und synthetischen Kraftstoffen überlegen. Batteriestrom ist nach Stand der heutigen Technologie dreifach energieeffizienter als aus Wasserstoff erzeugter Strom, und mehr als sechsfach als E-Fuels. Daher ist aus Sicht der Energieeffizienz die batterieelektrische Mobilität die erste Wahl – davon ausgehend, dass im konkreten Anwendungsfall Batterien funktional anwendbar und sinnvoll sind. Im Pkw-Bereich ist dies allerdings klar der Fall.
Die Transformation zur Elektromobilität wurde über lange Zeit als Bedrohung oder zumindest notwendiges Übel gesehen. Inzwischen findet ein Umdenken statt. Ist es Zeit, die Skepsis abzulegen?
Seitz: Auf jeden Fall. Elektromobilität ist Sektorkonvergent und lässt verschiedene Industrien in ein neues Ökosystem verschmelzen. Zwischen heute und 2030 werden weltweit zusätzliche 1,8 Billionen Euro in die Wertschöpfungskette der Elektromobilität investiert werden. Der Übergang zur batterieelektrischen Mobilität und zu einem globalen emissionsfreien EV-Lade-Ökosystem bietet immense Marktchancen für die verschiedensten Marktteilnehmenden diverser Sektoren. Sie können mit ambitioniertem Vorgehen und cleveren Ideen an der rasanten Entwicklung partizipieren, und zwar auf vielen Stufen der Wertschöpfung. Diese Potenziale gilt es zu identifizieren und zeitnah zu nutzen.
Der Autor:
Heiko Seitz ist der Leiter Elektromobilität und Ladeinfrastruktur von PwC Deutschland sowie des PwC Global eMobility Centre of Excellence. Als international erfahrener Strategie- und Umsetzungsexperte berät er Entscheidungsträger auf Regierungsebene und in den Führungsetagen der Industrie, um Transformationen hin zu einer nachhaltigen Mobilität mitzugestalten und zu realisieren.