Die dritte Welle der Prozess-Automatisierung

Im Bereich der Prozess-Automatisierung lassen sich mittlerweile drei Wellen einer Implementierung von Intelligent Process Automation (IPA) beobachten. Unternehmen sollten den Pfad kennen, der sie sicher durch diese drei Entwicklungsstufen führt. Nur so lassen sich die Potenziale dieser Technologien ausschöpfen – und Enttäuschungen vermeiden.

Erfolg im Bereich der Prozess-Automatisierung kann völlig unterschiedlich wahrgenommen werden. Die Automatisierung einfacher Prozesse kann Mitarbeiter entlasten und so zu einer Effizienzsteigerung führen, ohne den Prozess selbst zu überprüfen. Diese einfach erzielten Einsparungen können aber über das wahre Potenzial von IPA hinwegtäuschen, indem man sich zu früh zufrieden gibt. Kennt man hingegen die möglichen Wellen einer IPA-Implementierung, so kann man schon in der Entscheidungsphase die richtigen Fragen stellen und frühzeitig die notwendigen Schritte auf dem Weg zur nächsten Welle einleiten.

Die drei Wellen der Intelligent Process Automation (IPA)

 

In der ersten Welle steht der taktische Erfolg im Vordergrund. Hier geht es darum, schnell einfache und hoch repetitive Prozesse umzusetzen; der erzeugte Wert für das Unternehmen ist dabei auf eine reine Kostensenkung limitiert. Betrachtet man zusätzlich die Aufwände, die eine weitere Plattform im Unternehmen erzeugt (neben Kosten auch eine Steigerung der Komplexität), dann erleben wir bei vielen Implementierungen von rein regelbasierender Robotic Process Automation (RPA) hier eine Ernüchterung der anfänglichen Begeisterung. Die erlebten „quick wins“ bringen zwar Einsparungen, der Effekt für das Unternehmen skaliert aber nur linear zum Aufwand.

Die zweite Welle der Implementierung von IPA charakterisiert sich dadurch, dass komplexere Prozesse, die sich über mehrere Arbeitsfelder erstrecken, bis hin zu End-to-End Prozessen im Unternehmen automatisiert werden. Dabei ist dann häufig auch eine Mensch-Maschine-Kommunikation beteiligt, um im Falle von nicht vorhergesehenen oder bewusst nicht automatisierten Aufgaben die humanen Qualitäten der Bearbeitung hinzuzufügen. In dieser Welle werden deutlich größere Werte für die Unternehmen erzeugt, denn neben einer reinen Kostenersparnis geht diese Welle zwangsläufig mit einer Adaption des Prozesses auf die digitale Verarbeitung einher. Hierdurch können die betrieblichen Vorteile deutlich erfolgreicher genutzt werden.

Die Erweiterung der klassischen Wertschöpfungsketten kennzeichnet die dritte Welle der Automatisierung. Da bereits das Fundament gelegt wurde, kann ein bereits digitalisierter Prozess in dieser Phase ohne größeren Aufwand durch die einfache Einbeziehung von neuen Technologien wie Blockchain, künstlicher Intelligenz, Quanten computing oder der Erzeugung eines „Digital Twins“ völlig neu gedacht werden.

Zum Beispiel ließe sich ein Prozess der Ersatzteillogistik mit sehr geringem Aufwand um Blockchain-Technologie erweitern – und so die Herkunfts- und Qualitätstransparenz entscheidend verbessern. Ein anderes Beispiel ist die Erweiterung automatisierter Versicherungsprozesse um digitale Zwillinge der versicherten Objekte, die es erlauben, in der Vertragsgestaltung die Nutzung und in der Schadensbearbeitung den Zustand der versicherten Gegenstände zu berücksichtigen.

In jedem Fall steigert der Einsatz von IPA die Unternehmensagilität enorm, denn die Einbeziehung weiterer neuer Technologien innerhalb eines bereits automatisierten Prozesses erfordert nur noch einen geringen Implementierungs- und Trainingsaufwand. Kostensenkung und ROI werden dann durch Agilität und Qualitätssteigerung als Ziele einer Einführung von IPA ergänzt. Konsequenterweise kann und wird dies zu völlig neuen Angeboten führen.

Die meisten Unternehmen, die bereits RPA einsetzen, haben erste Erfolge mit ihren Automatisierungen verzeichnet. Der Schritt heraus aus einer rein taktischen Implementierung fällt jedoch schwer, hier wird häufig externe Expertise benötigt. Dies intern zu verargumentieren ist umso einfacher, je klarer die zukünftigen Benefits artikuliert werden können.

Stichwort COVID: Natürlich unterstützt RPA im Falle von unvorhergesehenen Vorfällen deren Beantwortung durch die Möglichkeit, schnell zusätzliche Ressourcen für bereits automatisierte Prozesse bereitzustellen. Da aber die meisten Unternehmen noch in der ersten Welle stecken, wurden hier hauptsächlich Erfolge in den Bereichen erzielt, für die kurzfristig viele Wiederholungen erforderlich waren – entweder auf Grund von höherer Nachfrage oder von geringerer Leistungsfähigkeit der menschlichen Kräfte.

Hierbei wurden aber immer nur bereits vorhandene Infrastrukturen leistungsfähiger gemacht. In Zukunft werden Unternehmen durch eine höhere Agilität auf Grund des Einsatzes von IPA auch in der Lage sein, auf derartige Vorkommnisse mit der Entwicklung völlig neuer Services oder Angebote zu reagieren und diese auch sofort skalierbar anbieten zu können. Langfristig wird diese Unternehmensagilität nicht nur bei unvorhergesehenen Fällen, sondern auch im Regelfall überlebenswichtig für Unternehmen, denn diese Agilität wird auch von den Kunden erwartet und honoriert.

IPA ist eine Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Digital Transformation, aber ohne Vision und Management-Unterstützung wird IPA im Unternehmen nicht strategisch genutzt werden. Es ist also wichtig, für die digitale Transformation eine Unternehmensvision und -strategie aufzubauen (=Top-Down). Diese wird den Einsatz von Software-Robotern im White-Collar-Bereich genauso selbstverständlich vorsehen wie den Einsatz von physischen Robotern im Blue-Collar-Bereich der Fertigungsindustrie.

Der Autor: Gerd Plewka berät mit seinem Team Kunden vor und während der Einführung von IPA sowie begleitend in der Skalierungsphase. Er ist Head of Solution Consulting Nordics and CEE bei Blue Prism.