Die digitale Transformation, derzeit ein Topthema auf der Managementagenda, betrifft alle Bereiche eines Unternehmens. Ansetzen sollte sie jedoch dort, wo der Markt – also die Kunden – auf die Unternehmen und ihre Produkte treffen. Hier werden Geschäftsmodelle der Feuerprobe unterzogen, hier ist die wichtigste Schnittstelle und hier beginnt die Kundeninteraktion. Wir beschäftigen uns in diesem Special daher ausschließlich mit der Digitalisierung der Kundeninteraktion.
Die Digitalisierung der Kundeninteraktion (im B2B- oder im B2C-Bereich) ist der Primus inter Pares der Digitalisierung. Neben dem Ziel von Kosteneinsparungen sollten die Optimierung von kundengerichteten Prozessen sowie die Ermöglichung neuer Produkte und Dienstleistungen im Fokus einer Digitalisierungsstrategie stehen. Eine solche kundenorientiere Digitalisierung beginnt mit der genauen Analyse der Customer Journey, also den Phasen, in denen Kunden mit dem Unternehmen in Berührung kommen und idealerweise aufgrund der positiven emotionalen Erlebnisse, der überzeugenden Produktleistung sowie dem geringen Aufwand in der Interaktion zu loyalen Kunden werden.
Ein gründliches Customer Journey Mapping – also die Analyse der Kundeninteraktionen in Bezug auf Reihenfolge, genutzten Channels, Verantwortlichen im Unternehmen, Mess- und Befragungsmethoden zum Erfassen der Prozesseffizienz und Kundenzufriedenheit, sowie der Identifikation besonders wichtiger Phasen der Customer Journey – bilden das solide Fundament jeder kundenorientierten Digitalisierungsstrategie.
In unserem Framework zur kundenorientierten Digitalisierung befinden sich acht zentrale Bausteine (siehe Abbildung unten). Flankiert werden diese Themenbereiche von einer Reihe wichtiger Befähiger-Themen. Alle acht Themenbereiche sowie die Befähiger sind notwendig, um die Digitalisierung der Kundeninteraktion exzellent umsetzen zu können. Die Priorität variiert von Branche zu Branche leicht.
Baustein 1: Kundenbeziehungen
Vor dem Hintergrund immer dynamischerer Märkte und heterogener Zielgruppen ist jedes Unternehmen gezwungen, neue Strategien und Kundenzugänge zu nutzen, um sich dem zunehmenden Wettbewerb zu stellen und multiple Kanäle (Channels) und Kontaktpunkte (Touchpoints) zu bedienen. Vor allem das parallele Handling aller aus Kundensicht geforderten Vertriebskanäle (Omni-Channel-Management) stellt eine besondere Herausforderung dar. Konsumenten fordern und nutzen parallel diverse Kanäle entlang von Touchpoints ihrer jeweiligen Customer Journey: vom Internet über Kataloge und Onlineshops, Foren bis zu Auktionsplattformen oder auch Apps für mobile Endgeräte. Daher müssen Unternehmen auch parallele Absatzkanäle zielgruppengerecht bedienen.
In vielen Projekten ist die größte Herausforderung, Daten aus vielen unterschiedlichen CRM-Systemen, die im Laufe der Jahre für unterschiedliche Vertriebskanäle eingesetzt wurden, aufzubereiten und zu vereinheitlichen. Das einheitliche CRM ist dann mit einer Dialogschnittstelle zu versehen, in der der Vertrieb und das Produktmanagement einerseits z. B. die Website, App, Shop, Kataloge, Broschüren und Preislisten pflegen und andererseits Informationen aus Interaktionen mit Kunden einfließen können. Diese Schnittstelle wird als Customer Integration Hub bezeichnet. Sie bildet für den Vertrieb und alle Prozesse und Workflows im Backend die Brücke zur Kundeninteraktion.
Für zukunftsorientierte Unternehmen gilt es beispielsweise, nicht nur ein Onlineangebot aufzubauen oder zu relaunchen, um die Kommunikationskanäle zu optimieren, sondern auch stationäres und Onlinegeschäft so miteinander zu verknüpfen, dass für die Kunden kein Medienbruch mehr sichtbar wird.
Baustein 2: Digitale Inhalte
Mit Inhalten sind alle Informationen, die Kunden über digitale Medien zur Verfügung gestellt werden, gemeint. Sie dienen sowohl informatorischen als auch Marketingzwecken. Content Marketing beschreibt die Bereitstellung von informativen, unterhaltenden und beratenden Inhalten, die bestimmte Zielgruppen ansprechen sollen ( Texte, Bilder, Videos, Podcasts). Inhalte liefern einen Grundbaustein der Suchmaschinenoptimierung. Keyword-optimierte Inhalte machen die Webseite schneller auffindbar, und gute Inhalte erhöhen die Wahrscheinlichkeit der Linkgenerierung. Ein weltweites abgestimmtes Angebot an Inhalten über verschiedene Medien muss angestrebt werden.
Eine – aus Kundensicht – gute User Experience baut auf guten Inhalten auf, und wie und wo diese präsentiert werden. Welche Inhalte auf welchen Kanälen und in welchen Formaten bereitgestellt werden müssen, richtet sich nach den Informationsbedürfnissen der Kunden und nicht mehr nur nach den Marketing- und PR-Strategien der Unternehmen. In der Praxis ist es oft schwierig, den Unternehmen zu vermitteln, dass die eigene Webseite nicht nur Marketingzwecke erfüllt oder Imageträger ist. Ständiger (Echtzeit-)Dialog mit den Kunden und die richtigen Tools zur Auswertung der Kundeninteressen mit fortlaufender Anpassung der Marketing- und PR-Kommunikation sind die Schlüsselfaktoren. Unternehmen müssen sich als Medienunternehmen verstehen!
Baustein 3: Onlinemarketing
Onlinemarketing beschreibt alle Aktivitäten eines Unternehmens, die darauf abzielen, im Internet auf sich aufmerksam zu machen. Dies beinhaltet das Erstellen und die Pflege einer Webseite wie auch Suchmaschinen-Marketing, Social-Media-Marketing, Marketing über Drittplattformen und E-Mail-Marketing. Ziel des Online-Marketings ist die Lead-Generierung von bestehenden und neuen Kunden.
Auch heute noch haben viele Internetpräsenzen von Unternehmen mit einem schlechten Ruf zu kämpfen. Kunden sind frustriert, weil nur noch Schlüsselbegriffe (Keywords) optimiert werden, ohne die Qualität der Inhalte zu ändern. Ein Heer von sogenannten Search-Engine-Optimization-Experten (SEO-Experten) haben den Unternehmen „gute Suchergebnisse“ verkauft, ohne dabei die User Experience zu berücksichtigen. Nachdem Google seinen Algorithmus (genauer gesagt den Spamfilter) stetig angepasst hat, ist ein strategischer Umgang mit allen Inhalten der Domain eines Unternehmens ein Muss, um überhaupt in den Google-Rankings aufgeführt zu werden. Jedes Unternehmen muss darauf achten, wie und wo es in den Search Engine Result Pages (SERPs) gelistet wird und dabei die Entwicklungen beobachten und sich stetig verbessern.
Baustein 4: Webseiten
Die Kommunikation mit Kunden über digitale Kanäle erfolgt entweder über browserbasierte Lösungen (webbasierte Interaktion) oder über installierte Anwendungsprogramme (App-basierte Interaktion). Webbasierte Interaktion erfolgt über alle Geräte, die browserfähig sind: vom PC über Laptops über Tablets bis hin zu Smartphones. Sie umfasst unter anderem die Bereitstellung von Informationen, konkreten Anwendungen, Kundenchatprogrammen und den Austausch über soziale Medien. Im Kern ist die Webseite Abbild der digitalen Content-Strategie.
Die Bedeutung einer professionellen Content-Strategie hat im Zuge der massenhaften Verbreitung mobiler Endgeräte weiter zugenommen. Google priorisiert die mobile Version der Webseite höher als die traditionelle Version. Der Vertrieb muss verstehen, welche Inhalte wichtig sind für das Ranking, wie diese auf mobilen Endgeräten wirken, welche Unternehmensziele verfolgt werden und wie Produktions- sowie Veröffentlichungspläne funktionieren. Nur so kann ein Unternehmen eine möglichst hohe Anzahl von Besuchern einer Landingpage zu Käufern machen (Conversion Rate). Der Kunde wird nur dann zum Käufer, wenn die User Experience optimal ist. Baut sich etwa eine Landingpage auf einem Smartphone zu langsam auf, verliert der Kunde die Geduld und springt ab (Bounce Rate).
Baustein 5: Konfiguration und Onlineshops
Der Onlineshop ist das Interface zwischen dem Unternehmen und den Kunden in B2C und B2B. Er ist heute in verschiedenen Evolutionsstufen am digitalen Markt zu finden: Vom Auflisten autorisierter Händler bis hin zum eigenständigen Vertriebskanal ist jede Option möglich. Im Digitalisierungsprojekt gilt es herauszufinden, welche Evolutionsstufe heute und in Zukunft zum Unternehmen passt.
Die Schwierigkeit liegt aber nicht nur in der Auswahl der Shop-Variante, sondern auch im strategischen Fit des Interfaces mit der Vertriebsarchitektur des Unternehmens. Grund hierfür sind die zahlreichen Wechselwirkungen des Shop-Projekts mit der Content-Strategie, den übrigen Vertriebskanälen, dem After Sales und dem Datenmanagement.
Baustein 6: Digital-Instore/POS
Instore-Lösungen sind ortsgebundene digitale Lösungen, insbesondere digitale Angebote in stationären Geschäften (Instore Digitization). Ziel ist es, durch digitale Vor-Ort-Lösungen Kunden zu begeistern, die Kundeninteraktion zu fördern und die Effizienz von Abläufen in stationären Geschäften zu erhöhen. Eine besondere Rolle spielt dabei die zunehmende Verschmelzung von Online- und Offlineerlebnis.
Der Point of Sale ist schon lange nicht mehr allein als ein Ort zu verstehen, an dem das Unternehmen dem Kunden über seine Produkte ein rein haptisches Erlebnis ermöglicht. Die Begegnung mit dem Verkäufer und dem Produkt wird heute flankiert von digitalen Technologien: Smartphones begleiten den Kunden in den Verkaufsraum und interagieren mit den Produkten. Termine ad hoc vereinbaren, Produktinformationen abrufen und mit dem Produkt vor Ort interagieren (Augmented Reality) sind Möglichkeiten, die zu diskutieren und in den Gesamtkontext der digitalen Steuerung einzufügen sind. Zu berücksichtigen ist, dass das Ladengeschäft nach wie vor der Kontaktpunkt mit dem Kunden ist, über den der höchste Umsatz generiert wird.
Baustein 7: Informations- und Service Apps
Informations- und Service-Apps sind Programme, die dem Nutzer Informationen oder den Zugang zu Serviceleistungen des Anbieters ermöglichen. Die Interaktion erfolgt über eine Anwendungssoftware, die auf entsprechenden Geräten installiert wird und daher online wie offline funktioniert . In digitalen Projekten ist die Problemstellung zu lösen, wie eine App sich in das Konzept der digitalen Kundenschnittelle einfügen kann: Dient die App vorrangig der Kommunikation mit dem Produkt, oder ist sie primär Teil der Interaktion der Kunden mit dem Unternehmen und einer Vielzahl von Produkten?
Baustein 8: Kundendienst
Der „digitale Kundendienst“ umfasst alle webbasierten Tätigkeiten und Hilfsmittel, die eingesetzt werden, um nach dem Verkauf dem Kunden einen optimalen Einsatz seiner Geräte zu ermöglichen. Im Sinne des „nach dem Verkauf ist vor dem Verkauf“ übernimmt der digitale Kundendienst auch eine wichtige Rolle für den weiteren Vertrieb von Produkten, Zubehör und Dienstleistungen. Elemente des digitalen Kundendienstes sind daher: digitale Kommunikationskanäle mit Bestandskunden, digitale Diagnosetools, digitale Bereitstellung von Informationen.
Fazit: Digitalisierung mit Methode
Projekte zur kundenorientierten Digitalisierung sind nur dann erfolgreich, wenn sie auf einer gründlichen Analyse der Customer Journey basieren und sich jeder der acht Bausteine in die Optimierung dieser Customer Journey einfügt. Sinnvollerweise beginnen sie mit einem gründlichen Customer Journey Mapping sowie der umfassenden Einschätzung der Kundenzentriertheit in allen Bereichen des Unternehmens. Von hier aus ist die Digitalisierung der Kundeninteraktion oft der richtige Einstieg, der erste Fixpunkt, um die digitale Transformation mit ihren Verästelungen über primäre und sekundäre Wertketten bis hin zum Humankapital zu entflechten und in ökosystemorientierte Projekte einzupassen.
In zahlreichen Projekten konnten wir die digitale Performance von Unternehmen durch Umsetzung wichtiger Einzelthemen wie Omni-Channel-Management deutlich steigern, ohne dadurch einen Konzernumbau auszulösen, jedoch mit der Weitsicht, dass unser Konzept auch in eine unternehmensweite Neuausrichtung in Zukunft hineinpasst.
Die Autoren:
Thorsten Lips, Partner bei Horváth & Partners, verantwortet länder- und industrieübergreifend das Business Segment Sales. Er berät Unternehmen in Fragen der Performanceoptimierung und Steuerung des Vertriebs im internationalen Kontext. TLips@horvath-partners.com
Sabine Hartje verantwortet bei Horváth & Partners die Bereiche Strategy, Innovation & Sales für Industriegüter- und High-Tech-Unternehmen. Sie ist Expertin in den Gebieten Vertriebsstrategie und Vertriebssteuerung.