Das Industrielle Metaversum: Der Weg ist das Ziel

Angesichts von Gaskrise und Coronawinter, Inflation und Rezession ist gutes Krisenmanagement heute unerlässlich. Gleichzeitig ist jetzt aber auch der richtige Zeitpunkt, in die Zukunft zu investieren. Es ist kein Zufall, dass die Hälfte aller Unternehmen, die heute zu den Fortune 500 zählen, in wirtschaftlich schwierigen Zeiten gegründet wurden: Wer in der Krise mit klarem, strategischem Kompass investiert, hat die Chance, in besseren Zeiten der Konkurrenz davonzuziehen. Für Unternehmen, die das Geschäft in Industrie, Infrastruktur oder Transportwesen prägen möchten, kann das Industrielle Metaversum dabei der Kompass auf diesem Weg sein.

Was ist das Industrielle Metaversum – oder genauer: was wird es sein? Wie in den Anfängen des Internets, so kann auch heute niemand genau sagen, wie die Zukunft des Metaverse aussehen wird. Absehbar ist, dass wir in den kommenden fünf bis zehn Jahren erleben werden, wie eine neue virtuelle Welt entsteht; eine Welt, in der eine theoretisch unendliche Anzahl an Menschen und Maschinen agieren und interagieren wird – in Echtzeit und einer simulierten Umgebung, die der realen Welt täuschend ähnlich sein wird (sofern wir das wollen).
Heute wird über das Metaversum oft nur gesprochen, wenn es um Spiel, Spaß und Shopping geht. Dabei liegt das vielleicht größte Potenzial dieser virtuellen Welt darin, Probleme in der realen Welt zu lösen. Denn im Industriellen Metaversum werden reale Maschinen und Fabriken, Gebäude und Städte, Netze und Transportsysteme gespiegelt. Und wozu das Ganze?

Metaversum als Unterstützung in der Ausbildung

Zu Ausbildungszwecken zum Beispiel: Unsere nächste Generation Auszubildender kann bereits in der Berufsschule mit Maschinen arbeiten, die genauso aussehen und funktionieren, wie in der realen Welt. Zudem können angelernte Kräfte komplizierte Operationen üben und ausführen, für die es sonst Expert:innen bräuchte – ein wichtiger Schritt im Umgang mit zunehmendem Fachkräftemangel.
Bei Problemen in laufender Produktion können im Metaversum mit seinen Simulationsfähigkeiten Fehlerursachen schneller gefunden und analysiert sowie verschiedene Lösungen simuliert werden. Deren Behebung in der Realität wird unterstützt, indem mit unterschiedlichen Geräten – von speziellen Brillen bis zu Handys oder Tablets – virtuelle Informationen als Augmented oder Mixed Reality über die reale Welt gelegt werden: Service-Techniker:innen bekommen so zum Beispiel über eine entsprechende Brille eingeblendet, welche Handgriffe für eine Reparatur erforderlich sind, und erhalten dabei direkt Unterstützung von Expert:innen.

Der digitale Zwilling – Fundament des Industriellen Metaversums

Die Idee des Industriellen Metaversums klingt wie Science-Fiction. Dabei ist es eigentlich nur die Folge der natürlichen Evolution von Technologien, die wir heute bereits nutzen. Allen voran des digitalen Zwillings, an dem wir bei Siemens seit über zehn Jahren arbeiten – und der das Fundament des Industriellen Metaversums sein wird.
Unsere digitalen Zwillinge sind physisch korrekte Kopien von realen Systemen. Mit ihnen haben wir bereits dabei geholfen, den Mars Rover auf den roten Planeten zu bringen, Drohnen oder nachhaltige Großschiffe zu entwickeln, Fahrzeuge zerstörungsfrei zu testen oder Häuser, Schienenwege oder Fabriken zu planen und den Betrieb effizienter zu machen.
Gemeinsam mit industriellen Partnern wie NVIDIA oder Bentley Systems und Instituten wie der KU Leuven oder Georgia Tech entwickeln wir jetzt die digitalen Zwillinge der nächsten Generation. Diese werden immersive Interaktionen in Echtzeit ermöglichen, wie echte Maschinen aussehen und sich physisch ganz wie das Original verhalten.
Gleichzeitig arbeiten wir daran, mit diesen digitalen Zwillingen auch komplexe Systeme, ganze Fabriken oder Infrastrukturen, beherrschbar zu machen. Im Industriellen Metaversum werden dazu die photorealistische Darstellung und die dahinter liegenden Verhaltensmodelle durch ein einheitliches Format, eine gemeinsame Sprache transportiert und integriert.
Dadurch können Kunden im Handumdrehen ihre digitalen Zwillinge mit denen von dutzenden, wenn nicht hunderten Lieferanten und Partnern verbinden. Der digitale Zwilling zum Beispiel einer Fabrik – mit Bauteilen und Maschinen von zahllosen Zulieferern – ließe sich dadurch quasi im Drag & Drop-Verfahren zusammenstellen und Innovationen ließen sich einfach übertragen.
Enorme Fortschritte sehen wir auch bei weiteren Schlüsseltechnologien, die das Industrielle Metaversum ermöglichen werden, etwa bei Halbleitern, Blockchain-Technologie, Künstlicher Intelligenz oder Cloud- und Edge Computing. Angesichts dessen lässt sich sagen: Das Industrielle Metaversum ist keine bloße Utopie, sondern die Beschreibung der wahrscheinlich nächsten Evolutionsstufe des World Wide Web.

Entscheidend ist die Offenheit digitaler Lösungen

Wer in dieser nächsten Normalität zu den Gewinnern gehören will, wird bereits heute anfangen, eine klare Digitalisierungsstrategie zu entwickeln und umzusetzen. Dazu gehört zum Beispiel in Edge Hardware, industrielle 5G Netze, digitale Simulationstechnologien, Künstliche Intelligenz und Machine Learning zu investieren. Dort, wo diese Lösungen heute schon einen Mehrwert bringen.
Aber vor allem müssen Digitalisierungsstrategien mehr denn je Faktoren wie Interoperabilität und Offenheit digitaler Lösungen in den Mittelpunkt stellen. Denn das sind die Grundvoraussetzungen für den Aufbau und die Teilhabe am Industriellen Metaversum – aber auch für erfolgreiche Digitalisierung in der Gegenwart. Darum sind auch Angebote wie Siemens Xcelerator so wertvoll, die mit einem kuratierten Software-Portfolio und IoT-fähiger Hardware einfache, offene und flexible Lösungen für alle zugänglich machen.
Es geht darum, in der Zukunft das ganze Potential digitaler Technologien zu nutzen, um immer leichter mit anderen Menschen über Länder und Grenzen hinweg zusammenzuarbeiten; Produkte immer schneller zu entwickeln und auf den Markt zu bringen; und die Produktion immer einfacher zu optimieren, von einzelnen Maschinen über Fertigungslinien bis hin zu ganzen Fabriken.
Auf dem Weg in die digitale Zukunft müssen Hürden und Herausforderungen mit klugem Pragmatismus überwunden werden. Gerade angesichts der gegenwärtigen Krisen. Aber damit wir dabei wirklich vorankommen, müssen wir eine klare Orientierung haben. Die Idee des Industriellen Metaversums hilft, den richtigen Weg im Heute zu finden – für neues, starkes Wachstum auch in der Zukunft.

Der Autor:


Peter Körte ist Chief Strategy Officer und Chief Technology Officer bei Siemens. In diesen Funktionen verantwortet er die Entwicklung der Unternehmensstrategie sowie die Digitalisierung und den Aufbau des industriellen Internet of Things (IoT). Er berichtet direkt an den Vorstandsvorsitzenden der Siemens AG.