Um im Process-Mining-Markt Vergleichbarkeit und Transparenz herzustellen, ist es erforderlich, ein Process-Mining-Referenzmodell als Industriestandard zu etablieren. Ein solcher Standard stellt zugleich die Grundlage für Innovationen dar – zum Beispiel um das System in Richtung Künstliche Intelligenz, Robotics oder Blockchain auszubauen.
In den vergangenen 15 Jahren hat sich rund um das Thema Process Mining einiges getan. Was zu Beginn, initiiert durch den niederländischen Informatiker Prof. Dr. Wil van der Aalst, noch eine sehr wissenschaftlich geprägte Disziplin war, ist heute eine der am rasantesten wachsenden Technologien am Markt. Die Adaption dieser Technologie in zahlreichen Fortune-500-Unternehmen, der Einstieg von SAP und anderen Softwareriesen, wie auch der kürzlich erst veröffentlichte Gartner Report von Marc Kerremans sorgen für einen wahren Hype.
Viele Professional-Service-Unternehmen, von Technologieberatungen über Wirtschaftsprüfungsgesellschaften bis hin zu Strategieberatungen, sehen großes Potenzial für die Schaffung einer dezidiert eigenen Disziplin. Die gegenwärtigen Diskussionen um Digitalisierung, Industrie 4.0, Künstlicher Intelligenz und Big Data dienen als zusätzlicher Beschleuniger für den Aufstieg von Process Mining. Mittlerweile gibt es mehr als 20 Technologieanbieter, die sich in den drei Hauptanwendungsgebieten Prozess-Modellierung, Prozess-Monitoring und Process Discovery positionieren – Tendenz weiter steigend.
Im Kern begleitet Process Mining die Unternehmen bei ihrer digitalen Transformation. Geschäfts- und IT-Prozesse werden sichtbar gemacht. Mit der Anwendung von Process Mining werden gelebte „analoge“ Prozesse jeglicher Art aufgezeichnet und somit digital nutzbar gemacht. Die hieraus gewonnene Transparenz ist in vielerlei Hinsicht gewinnbringend zu nutzen. Beispielsweise können die Prozesseffizienz gesteigert, Standardisierung vorangetrieben oder Compliance-Fälle nachvollzogen werden.
Trotz der zahlreichen und substanziellen Erfolge von Process Mining in den letzten Jahren steht die industrielle Anwendung und Weiterentwicklung der Technologie noch am Anfang. Neben der Einbindung von Künstlicher Intelligenz (KI) für Prozesssimulation ist zurzeit die effiziente und schnelle Erschließung neuer Datenquellen unter Hinzunahme aller relevanten Unternehmensapplikationen für die Betrachtung der End-to-End Prozesse eine der größten Herausforderungen.
Wie bei allen vielversprechenden aber jungen Technologien bewegt sich eine Vielzahl von Anwendern, Beratern und Technologieanbieter in einem zunehmend undurchsichtigen Markt. Um Vergleichbarkeit und Transparenz herzustellen, ist die Etablierung eines Process-Mining-Referenzmodells als Industriestandard unbedingt erforderlich.
Dieser Industriestandard soll Unternehmen, Technologieentwicklern und –anbietern sowie Anwendern Orientierung bei der Validierung, Anwendung und Weiterentwicklung von Process Mining geben. Im gleichen Zuge werden Investitionssicherheit geschaffen, die Wiederverwendbarkeit entwickelter Module maximiert und gleichzeitig Abhängigkeiten zu proprietären Komponenten minimiert. Die ersten erfolgsversprechenden Forschungsprojekte von Industrie, Universitäten und Anbietern sind bereits initiiert.
Dabei soll ein Referenzmodell entwickelt werden, dass einen am Markt akzeptierten Industriestandard definiert. Der Standard besteht aus vier Stufen, die aufeinanderfolgend den Lebenszyklus bei der Anwendung von Process Mining repräsentieren:
1. Datenbereitstellung (Smart Data Discovery) – Identifikation und Extraktion von relevanten Informationen aus Quellsystemen
Neben den bereits existierenden Extraktionstools für etablierte IT-Systeme sollen Ansätze entwickelt und dokumentiert werden, welche die relevanten Informationen mittels KI automatisch identifizieren und extrahieren. Dabei reduziert sich der Aufwand für die Datengewinnung aus individuellen Workflow-Systemen, Eigenentwicklungen und Nischensystemen.
2. Datennormierung (Metamodell) – Vereinheitlichung und Harmonisierung der Informationen aus unterschiedlichen Quellsystemen
Dabei sollten systemspezifische Bezeichnungen in eine einheitliche Nomenklatur überführt und vergleichbar gemacht werden. Das soll das Zusammenführen von weiteren Daten aus heterogenen Systemlandschaften in einen Process Mining Framework vereinfachen und beschleunigen.
3. Prozessmodellierung (Prozess-Bibliothek) – Rekonstruktion der realen Prozessabläufe – Digital Process Twins
Flexibles Verfahren für die Verkettung prozessrelevanter Objekte entlang der Unternehmenswertströme, angereichert durch steuerrelevante Attribute. Etablierte Verfahrensbausteine werden in Prozessbibliotheken zusammengefasst, um die Anwendung und den Nutzen (Time-to-Value) kontinuierlich zu verbessern.
4. Prozessvisualisierung und -analyse (Analyse-Bibliothek) – Digitale Plattform zur Standardisierung innovativer Geschäftsanalysen
Aufbau von industrie- und prozessspezifischen Analyse-Bibliotheken mit klarer Ausrichtung auf den wirtschaftlichen Nutzen. Diese Vorlagen ermöglichen Vergleichbarkeit zwischen, als auch innerhalb von Unternehmen und schaffen eine digitale Plattform für die Einbettung innovativer Analytik. Speziell die Simulation, sowie die Vorhersage von Prozessabläufen stellen wichtige Meilensteine auf dem Weg zu automatisierten Handlungsempfehlungen dar.
Die vier Stufen des Referenzmodels ermöglichen Unternehmen eine effiziente Anwendung und Technologieanbietern eine gezielte industrielle Weiterentwicklung. Zugleich soll der Industriestandard die Grundlage für weitere Innovationen bieten – zum Beispiel um das System in Richtung Künstliche Intelligenz, Robotics oder Blockchain auszubauen und anschließend unmittelbar zu industrialisieren.
Die Zeichen für eine nachhaltige und vielschichtige Anwendung von Process Mining stehen äußerst positiv und begünstigen die Transformation von einer reinen Prozessvisualisierung hin zu einer umfänglich digitalen Plattform. In den kommenden Jahren wird die Etablierung des Process-Mining-Referenzmodells als Industriestandard maßgeblich zur erfolgreichen digitalen Transformation der Unternehmen beitragen.
Der Autor: Olly Salzmann ist Partner bei Deloitte und leitet das Center of Process Bionics. Er verfügt über 13 Jahre Berufserfahrung in den Bereichen Process Mining, Applied Data Analytics, eDiscovery, IT-Audit und Datenschutz. In seiner beruflichen Laufbahn hat Herr Salzmann zahlreiche globale Analytics-Projekte bei großen Industrieunternehmen durchgeführt und bei der Erstellung von Big Data Use Cases sowie bei der digitalen Transformation von Geschäftsprozessen beraten.