Der CIO muss sich die Schuhe des Business anziehen

Digitale Technologien wirken sich branchenübergreifend auf fast jedes Unternehmen und deren Geschäftsmodelle aus. Vor dem Hintergrund haben CIOs die Chance, sich aufgrund ihrer Technologieexpertise als strategischer Partner im Unternehmen zu etablieren. Voraussetzung dafür ist, dass sie die Herausforderungen ihrer Business Partner kennen, um die Balance zwischen einer notwendigen Transformation und den technologischen Fähigkeiten und Ressourcen zu schaffen. Im folgenden Interview erläutern Christian Niederhagemann, CIO der GEA Group, und Dr. Marc Wennmann, Partner bei Ernst & Young (EY), warum der CIO in Unternehmen immer mehr zum Vermittler wird.

Die Digitalisierung hat die Frage nach der strategischen Rolle des CIOs im Unternehmen neu aufgeworfen. Könnten Sie uns zu Beginn aufzeigen, wie sich die Rolle des CIOs in den letzten Jahren verändert hat?
Niederhagemann: Die Rolle des CIOs hat sich in den letzten Jahren tatsächlich deutlich verändert. Wir kommen aus der Situation, dass der IT-Leiter, wie er früher einmal hieß, vor allem für die Themen rund um Infrastruktur und Applikationen gesehen wurde. In den letzten Jahren hat sich die Rolle dahingehend rasant verändert, dass der CIO eines Unternehmens immer mehr zum Partner seiner Geschäftsbereiche wird, d.h. der CIO wird immer mehr zum Vermittler zwischen dem, was das Business braucht und was die Technologie grundsätzlich leisten kann. Und daher sehen wir auch immer mehr CIOs, die Teil der Geschäftsentwicklung werden und die IT damit nicht nur Mittel zum Zweck ist, sondern sich zu einem Enabler entwickelt, der das Geschäft nicht nur unterstützt, sondern vor allem verbessern soll. In Zeiten der Digitalisierung sind Umsetzungen von Geschäftsmodellen ohne Technologie und strategische Partner auf der IT-Seite nicht mehr denkbar.
Wennmann: Die rasante Entwicklung von digitalen Technologien bietet das Potenzial, Geschäftsmodelle von Unternehmen mehr denn je kontinuierlich oder auch disruptiv zu verändern. Geschäftsverantwortliche erwarten daher, dass der CIO proaktiv digitale Akzente in der Strategieentwicklung setzt und eine zentrale Verantwortung in digitalen Transformationen einnimmt. Da digitale Initiativen im Unternehmen in der Regel von verschiedenen Fachbereichen ausgehen, erfordert das eine enge Zusammenarbeit des CIOs mit nahezu allen Organisationseinheiten.

Wie genau kann denn diese enge Zusammenarbeit im Unternehmen aussehen?
Niederhagemann: Grundsätzlich ist es stets wichtig, Teil des sozialen Netzwerks innerhalb des Unternehmens zu sein. Und das auf Augenhöhe mit seinen Peers. Ein Beispiel: wir haben vor ziemlich genau einem Jahr „GEA Digital“ als digitale Unit im Hause gegründet, eben bewusst nicht als Ausgründung, und eben auch nicht als Elfenbeinturmansatz, sondern als eine virtuelle, kollaborative Organisation. Das heißt, der Chief Digital Officer (CDO), der neu dazukam, und ich haben das Thema gemeinsam aus der Taufe gehoben. Der CDO bringt seine Fähigkeiten ein, Geschäftsmodelle und digitale Produkte zu entwickeln und ich als CIO mit meinem Team liefern Technologien und Plattformen und vor allem stellen wir einen hochskalierbaren Betrieb für digitale Produkte bereit. Natürlich machen wir das nicht zum Selbstzweck, sondern wollen positiv zum Unternehmensergebnis beitragen. Und damit arbeiten wir beide unter einer Agenda und unter einem gemeinsamen Dach.

„Die Rolle des CIOs hat sich in den letzten Jahren rasant verändert: Der CIO eines Unternehmens wird immer mehr zum Partner seiner Geschäftsbereiche.“
Christian Niederhagemann

Die Geschäftswelt dreht sich immer schneller und immer neue Technologietrends kommen auf den Markt. Wie kann der CIO im Unternehmen helfen auf die richtigen Trends zu setzen?
Wennmann: Es beginnt damit, zu bewerten, ob es sich als Unternehmen überhaupt lohnt, in Technologietrends zu investieren, weil diese Investition gerade auch personelle Kapazität bindet, die Unternehmen an anderer Stelle fehlt. Daher sollte jede Investition in Technologie an gewünschten Geschäftsergebnissen ausgerichtet sein, wie profitables Wachstum, gesteigerte Geschäftsagilität, Risikominimierung oder unternehmerische Nachhaltigkeit. In der Realität kann es häufig schwierig sein zu entscheiden, ob man mit einem Innovationsprojekt allein auf Basis eines Business Cases weitermachen soll. Viele Innovationen offenbaren ihr wahres Potenzial erst im Entwicklungsprozess und der Kommerzialisierung. Daher ist es wichtig, eine Balance zu finden zwischen dem Ausprobieren von Trends und Ideen und dem vorzeitigen Stoppen von Projekten, die kommerziell nicht vielversprechend aussehen. Letzten Endes wird der Beitrag der Technologie immer noch an der Fähigkeit gemessen, die Unternehmensziele zu
erreichen.

Herr Niederhagemann, können Sie uns ein konkretes Beispiel für einen Technologietrend nennen, auf den Sie als CIO für die GEA setzen?
Niederhagemann: Ein wichtiger Trend, der sich seit einigen Jahren kontinuierlich weiterentwickelt und inzwischen bei uns etabliert wurde, ist das Thema „Low-Code /No-Code“. Dabei geht es darum wie man IT-affine, aber nicht dezidiert IT-spezifisch ausgebildete Mitarbeitende, soweit befähigt, dass sie ihre eigenen Applikationen programmieren können. Und zwar weitgehend ohne Vorkenntnisse. Wir versuchen das über den Ansatz des „Citizen Developer“, d.h. der Endbenutzer verwendet Entwicklungsumgebungen, die ihm von der Unternehmens-IT zur Verfügung gestellt werden, um Applikationen für den jeweiligen eigenen Bedarf zu entwickeln. Sei es für ein Team, eine Abteilung oder einen ganzen Unternehmensbereich. Dazu braucht es eine gute und solide eingeführte Entwicklungsplattform, die mit einer entsprechenden Governance und klaren Spielregeln versehen ist. Der Vorteil ist, dass aus den Geschäftsfunktionen heraus Applikationen entwickelt werden können, ohne daraus jedes Mal ein großes, langwieriges und vor allem teures IT-Projekt zu machen. Damit erzielen wir Geschwindigkeit für Problemlösungen, die immer wieder im Alltag vorkommen. Der Trend geht dahin, dass kleine, schlanke Anwendungen entstehen, eben für kleinere Ökosysteme im Unternehmen und nicht direkt für hunderte oder tausende von Beschäftigten.

Die Rolle des CIOs als Vermittler zwischen Geschäft und Technologie. Quelle: Ernst & Young

Die Implementierung neuer Technologien ist häufig mit großen langjährigen Transformationsprogrammen verbunden, die nicht immer von Erfolg gekrönt sind. Wie wichtig ist hierbei die enge Zusammenarbeit zwischen Business und der IT?
Niederhagemann: Sehr wichtig! In großen technologie-unterstützten Transformationsprogrammen reden wir in der Regel von Unternehmenstransformationen und nicht von einem IT-Projekt. Das Unternehmen unterliegt häufig nicht nur der bereits angesprochenen Veränderung von Prozessen und angewandten Technologien, sondern auch veränderten Verhaltensweisen und einer neuen funktionsübergreifenden Zusammenarbeit. Die IT kann und sollte den Ordnungsrahmen dafür schaffen und in Teilen auch mitsteuern, sowie ihre Erfahrung aus erfolgreicher Projektarbeit einbringen. Aber die größten Veränderungen durchlaufen die Mitarbeiter auf der Geschäftsseite in ihrer täglichen Arbeit im Umgang mit Informationen, mit Daten und neuen Abläufen. Und daher ist es zwingend erforderlich, dass das  Business nicht nur involviert ist, sondern die Veränderungen aktiv mittreibt. Dass es nicht einfach ist, solche Transformationsprogramme neben dem Tagesgeschäft zu bewältigen, kann sich jeder vorstellen. Und diese Herausforderung muss jedes Unternehmen erst mal meistern.

Welche weiteren Erfolgsfaktoren sind aus Ihrer Erfahrung wichtig, um solche Vorhaben erfolgreich zu meistern?
Wennmann: Das angesprochene gemeinsam getragene Verständnis von der Geschäftsführung und dem IT-Leadership Team bis zum Mitarbeiter über die Notwendigkeit und Chance der Transformation ist ein ganz wesentlicher Erfolgsfaktor. Dazu gehören eine kontinuierliche Kommunikation und ein ganzheitliches Change-Management, da zum einen nicht jeder Bereich die Ziele des Programms hundertprozentig befürwortet bzw. sich seine Erwartungen nicht hundertprozentig mit denen anderer Bereiche decken und zum anderen damit die Veränderungen auf Mitarbeiterebene aktiv unterstützt werden.
Während der Transformation ist eine realistische Planung von Meilensteinen und Geschwindigkeit wichtig sowie der konstruktive Dialog zwischen Business und IT bei zusätzlichen Anforderungen, da aufgrund des längeren Zeitraums veränderte Umwelteinflüsse ein nicht zu vernachlässigender Faktor sind.

Die Veränderungen und Erwartungen an den CIO betreffen schlussendlich auch die IT-Mitarbeiter. Wie gehen Sie als CIO damit um?
Niederhagemann: Veränderungen bergen immer eine gewisse Gefahr in sich und führen zu Bedenken unter den Mitarbeitenden. Aber es sollte in der IT keine Existenzängste geben. Ganz im Gegenteil. Wenn z.B. klassische Entwicklungsleistungen in die Geschäftsfunktionen oder Routinetätigkeiten nach Außen verlagert werden, entstehen dadurch Freiräume für die angesprochenen Themen in der IT, die immer wichtiger werden. Die IT verändert sich – wie eingangs gesagt – grundsätzlich von einem IT-Dienstleister zu einem Business-Partner und Vermittler von Technologien, die häufig von externen Partnern bezogen werden. Sei es als Managend Service oder als Bereich eines Teil-Outsourcings. Dies muss von der internen IT koordiniert und gesteuert werden. Die Rollen der einzelnen IT-Mitarbeiter verändern sich dabei mal mehr, mal weniger stark und natürlich muss diese Veränderung aktiv über die Zeit begleitet werden. Hier ist Change Management der Erfolgsfaktor Nummer Eins. Sei es mit Trainingsangeboten oder auch mit Anreizen, neue Verantwortlichkeiten innerhalb der IT-Organisation zu übernehmen. Meine Erfahrung ist, dass alle die, die den Weg mitgehen möchten, auf dem Weg und auch im Nachgang sich hoch begeistert zeigen.

Welchen Rat würden Sie abschließend einem CIO geben, der als strategischer Partner im Unternehmen agieren möchte?
Niederhagemann: Mein Rat wäre, sich die Schuhe des Business anzuziehen. Je besser man das Geschäft und die dortigen Herausforderungen versteht, desto besser ist man als CIO in der Lage, Möglichkeiten für einen Mehrwert durch die IT zu erkennen. Es ist zudem wichtig, proaktiv zu sein und über Branchentrends und Best Practices auf dem Laufenden zu bleiben. Auf diese Weise ist man besser gerüstet, um strategische Empfehlungen auszusprechen und den Wert der IT der gesamten Organisation zu demonstrieren.
Wennmann: Im Zeitalter der Digitalisierung, mit sich ständig verändernden Rahmenbedingungen, empfehle ich CIOs darüber hinaus die Etablierung einer Kultur innerhalb der IT-Organisation, die Risikobereitschaft, Agilität und funktionsübergreifende Zusammenarbeit motiviert und belohnt.

Christian Niederhagemann ist seit 2019 Chief Information Officer (CIO) der GEA Group AG in Düsseldorf. In dieser Funktion verantwortet er die globale IT des Technologiekonzerns. GEA ist einer der weltgrößten Anlagenhersteller und Systemanbieter für die Nahrungs-, Getränke- und Phamazeutische Industrie.

 

 

 

Porträtaufnahme in Köln

Dr. Marc Wennmann ist Partner in der Technologieberatung der Ernst & Young GmbH in Düsseldorf und berät seit mehr als 25 Jahren Unternehmen in der IT-Strategieentwicklung und in digitalen Transformationsprogrammen.