Das „alternative Fooduniversum“ – wie wir morgen essen werden

Bevölkerungswachstum, Klimawandel und veränderte Lebensstile erfordern ein drastisches Umdenken in der Nahrungsmittelversorgung. Derweil verändert bereits seit Jahren ein „alternatives Fooduniversum“ die Welt der Lebensmittelindustrie, des Handels und der Gastronomie. Wer in diesem Umfeld wachsen will, ist gut beraten, sich den neuen Trends und Strömungen zu öffnen und Innovationen als Chance zu begreifen.

Als ich vor fünfzehn Jahren zum ersten Mal einen “Fleisch-ohne-Fleisch”-Burger probierte, rebellierten meine Geschmacksnerven. Die Struktur des “Ich-wäre-gerne-ein-Stück-Fleisch” erinnerte mich an einen Glitzischwamm aus unserer Küche: außen hart und abriebfest, innen windelweich. Ich brauchte einige Jahre, um mich davon zu erholen. Die angebotenen Fleischalternativen konnten mich nicht begeistern. Doch 2016 hatte ich ein Schlüsselerlebnis: Ein amerikanischer Koch servierte mir ein kleines, kross angebratenes Stück Fleisch. Verwundert stellte ich fest, dass ich gerade nicht in ein Stück Fleisch biss, sondern in einen “Beyond Meat®”-Burger, der selbst in den USA noch ein eingefleischter Geheimtipp war.

Zum ersten Mal traf ich auf ein Produkt, das den Status-Quo der etablierten Fleischindustrie ernsthaft in Frage stellen könnte – mit einer neuen Generation von innovativen Unternehmen aus der Foodbranche im Schlepptau. Und schließlich listete METRO Deutschland Ende 2018 als erster deutscher Lebensmittelgroßhändler den „Beyond Meat®”-Burger in den eigenen Regalen. Bei METRO und in unserem ausgelagerten Innovationshub NX-Food verfolgen wir diese Produkt- und Marktentwicklungen aus dem „alternativen Fooduniversum“ sehr genau. So haben sich seit Frühjahr 2018 mehr als 800 Gründerteams für unsere dreimonatigen Testprogramme im Handel und bei weiteren Vertriebspartnern beworben, mehr als 80 Startups konnten diese Programme letztendlich durchlaufen und etwa ein Drittel haben den Sprung in die dauerhafte Sortimentslistung geschafft.

(R)evolution mit Potenzial

Derweil stärkt sich ein weiterer Protagonist in der Fleischlos-Revolution im Hintergrund auf den großen Auftritt: Das „Clean Meat” (auch „Cultivated Meat“ genannt); also Fleisch, das aus Stammzellen im Labor gezüchtet wird. Weltweit arbeiten verschiedene Startups an fleischlosen Fleischalternativen. IDTechEx schätzt, dass die aus dem Labor und aus Pflanzen hergestellten Fleischalternativen bereits 2030 einen Umsatz von 500 Millionen US-Dollar erzielen werden.

Die höchsten Investitionssummen fließen dabei in Clean Meat. So verkündete das amerikanische Startup „Memphis Meats“ erst kürzlich eine neue Investitionsrunde mit einer Kapitalerhöhung von 161 Millionen US-Dollar. Das israelische Startup Future Meat will bereits 2021 mit der „Fleisch“-Produktion loslegen, das niederländische Mosa Meat plant eine Markteinführung im Jahr 2022.

In einer gemeinsamen Studie mit A.T. ­Kearney sagen wir, dass bis 2040 nur noch 40 Prozent unseres Fleischkonsums durch Tiere gedeckt werden und der Anteil von Clean Meat bis dahin auf 35 Prozent anwächst. Das ist natürlich eine Wette auf die Zukunft. Aber diese Vision wird von vielen Menschen und Kapital angetrieben.

Das Ende der Mahlzeiten wie wir sie kennen

Ernährung ist heutzutage weitaus mehr als bloße Energieaufnahme. Sie ist Ausdruck des Lebensstils und ein persönliches Statement. Verbraucher wollen sich zunehmend verantwortungsbewusst und gesund ernähren. Wir benötigen also eine für Mensch und Umwelt gesunde und nachhaltige Ernährung. Dabei könnten alternative Proteinquellen basierend auf Pflanzen, Pilzen, Algen aber auch Insekten unsere Abhängigkeit von der ressourcenintensiven Viehwirtschaft verringern.

In der Gastronomie verlangen Gäste beispielsweise vermehrt nach fleischlosen Alternativen – und das nicht nur aus ethischen und nachhaltigen Gründen, sondern weil die gesunden, pflanzenbasierten Produkte mit dem Umami-Geschmack und der Textur des gewohnten Fleischs locker mithalten können.

Neben den Produktinnovationen verstärken auch neue Produktionsmechanismen die Entwicklung. Ein Treiber: die Entfernung vom Produzenten bis „zur Gabel“ so gering wie möglich halten. Ein Ansatz sind beispielsweise vertikale Gärten in Restaurants. Die Zutaten für die Küche werden frisch vor Ort gezüchtet und gepflückt. Das reduziert nicht nur (Plastik-)Abfälle und CO2-Emissionen, die durch den Transport angefallen wären, sondern definiert „regionale Frische“ ganz neu. Zudem enthält das Essen mehr Vitamine und Nährstoffe, wenn man die Nahrungsmittel dort produziert, wo sie auch verzehrt werden.

Nachhaltige Trendsetter – Chancen für Handel und Gastronomie

Das “neue Fooduniversum” ist zumindest in Deutschland noch ein zartes Pflänzchen, das gehegt und gepflegt werden muss. Dem Großhandel kommt dabei eine verantwortungsvolle Rolle zu. Schließlich hat dieser eine ganz spezifische Kundengruppe: Die neue Generation der Gastro-Unternehmer weiß, dass ein Restaurantbesuch heute für Kunden auch ein Statement sein kann. “Clean Food” und neue Lebensmittellösungen geben dem Gast ein gutes Gewissen. Doch gerade bei neuen Produkten ist der Erklärungsbedarf oft hoch. Entsprechend bedarf es eines intensiven Dialogs an allen Fronten.

Um engagierte Gastronomen, Startups und den Handel besser miteinander zu vernetzen, haben wir mit „Rising Spoon“ eine Plattform für Gastronomen, kulinarische Visionäre und Food-Enthusiasten geschaffen, die sich zu den unterschiedlichsten Themen der Gastronomie in all ihren facettenreichen Aspekten auseinandersetzt. Und damit der Gastronom seinen Gästen am Ende auch die besten Produkte anbieten kann, muss der Handel die vielversprechenden Produktinnovationen vorab auch zu filtern und bewerten wissen.

METRO hat dazu vor circa zwei Jahren den Innovationshub NX-Food gegründet und diesen direkt neben der Konzernzentrale in Düsseldorf angesiedelt. Unser Ziel ist es zudem, unser eigenes Unternehmen für neue Themen zu begeistern. Im Hub arbeiten wir mit klarer unternehmerischer Ausrichtung „Bottom up“ und testen daher ständig Produktinnovationen und neue Ansätze. Wir glauben, dass Industrie, Handel und die Gastronomie am selben Strang ziehen müssen, um die Herausforderungen in der Lebensmittelversorgung gemeinsam zu meistern.

Genussvolle Zukunft – und alle werden satt

Die Revolution des alternativen Foodsystems ist nicht mehr aufzuhalten. Wir erleben eine beispiellose Hinwendung zu neuen Aspekten im Bereich Food und Gastronomie. Nachhaltigkeit, gesunde Ernährung und Essen als Ausdruck des eigenen Lebensstils und Selbstverständnisses. Deswegen fördern wir die Veränderungen in diesem Bereich.

Als erstes wird sich das Segment der Milch- und Molkereiprodukte radikal verschieben, danach die Fleisch-, gefolgt von der Fischindustrie. Doch ein “Hype” reicht nicht aus, um die Welt mit genügend Lebensmitteln zu versorgen. Umdenken und Gewohnheitsänderungen erfordern viel Zeit, Geduld, aber auch Mut und Risikofreude, um die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern.

Der Autor: Fabio Ziemßen verantwortet für die Geschäftseinheit NX-Food der METRO AG als Director Food Innovation Konzepte in den Bereichen FoodTech und AGTech. Er entwickelte den ersten „Vertical Farming“-Ansatz für Händler mit und half mit seinem Team dabei,  Ento-Food-Produkte und den „Beyond Meat®”-Burger als erster in den deutschen Lebensmittelhandel zu bringen. Seit 2017 ist er Mitgründer des Coworking Spaces Super7000 GmbH in Düsseldorf, Gründer der Plattform #Foodnext und seit 2019 Gründer und Verbandsvorstand von BALPro, dem Verband für Alternative Proteinquellen.