Circular Valley: Kein Kreis ohne Kunden

Die Transformation von einer linearen zu einer zirkulären Wirtschaftsweise können nur die Unternehmen schaffen. Sie benötigen dafür den passenden politischen Rahmen – und vor allem die Nachfrage der Verbraucherinnen und Verbraucher. Die Initiative Circular Valley kümmert sich um all diese Aspekte: Sie zeigt den Bürgern, wie Kreislaufwirtschaft im Alltag funktioniert, bringt große Unternehmen zusammen, fördert die Geschäftsmodelle junger Start-ups und teilt ihre Erkenntnisse mit der Politik.

Es klang nach einem Skandal. In der Historischen Stadthalle Wuppertal, im 19. Jahrhundert im Stil der Neorenaissance italienischer Prägung als ehrwürdiger Repräsentationsbau errichtet, hatte jemand mehrere Tonnen Müll abgestellt: leere Blechdosen, alte Kabel, abgenutzte Kaffeekannen, unbrauchbare Tastaturen und vieles mehr.

Die beruhigende Nachricht: Das war genau so gewollt. Der Aktionskünstler HA Schult hat diesen Zivilisationsmüll zu Figuren geformt, den Trash People, und platziert sie an verschiedenen Orten in der Welt als Mahnmale des Überflusslebens. In die Stadthalle waren die 250 Kunstwerke auf Einladung der Initiative Circular Valley gekommen, die mit dieser Aktion die 800 Gäste ihrer großen Jahreskonferenz überraschte. Die Botschaft erreichte alle, die es angeht: Entscheider großer und mittelständischer Unternehmen, Politiker, Wissenschaftler sowie Bürgerinnen und Bürger.

Es braucht jede und jeden einzelnen, um das Ziel von Circular Valley zu erreichen: eine erfolgreiche Transformation unserer heutigen Wirtschaftsweise vom Linearen zum Zirkulären. Kunst und Kultur sind ein Weg dorthin, weil sie ganz leicht vor Augen führen, wie groß der Handlungsbedarf ist und dass alle etwas beitragen können. Die Öffentlichkeitsarbeit mit Ausstellungen, Workshops, Videos und Podcasts ist ein wichtiger Aspekt im Circular Valley. Denn ohne Kunden wird es keine Kreislaufwirtschaft geben.

Diese Erkenntnis ist komplexer, als sie klingt: Unternehmen haben erkannt, dass sie zirkulär denken und arbeiten müssen. Sie können nicht weiterhin Ressourcen und Energie verbrauchen wie bisher, sie müssen Produkte im Kreis führen. Mit Recyclaten und Biokunststoffen beginnen, Stoffe und Wege digital verfolgen und am Ende dafür sorgen, dass die Materialien nicht weggeworfen und verbrannt, sondern wieder genutzt werden.

Der Aktionskünstler HA Schult präsentierte 250 Trash People beim Circular Valley Forum in der Historischen Stadthalle Wuppertal. Foto: Ansgar M. van Treeck

Drei Wege zur Kreislaufwirtschaft

Dafür brauchen sie allerdings einen Markt, also Nachfrage. Viele Kunden wiederum haben offensichtlich ein verstärktes Interesse an nachhaltigem Konsum, suchen aber noch die passenden Angebote. Genau dieses Gap zwischen den beiden Seiten möchte Circular Valley überwinden. Dazu vermittelt es Dreierlei:

  1. Gemeinsame Lösungen und eine wertstoffübergreifende Zusammenarbeit von großen Unternehmen untereinander und von großen Unternehmen mit Start-ups aus der ganzen Welt,
  2. Angebote für die Zivilgesellschaft, mehr zu lernen und mitzumachen,
  3. Zusammenarbeit mit Politik und Wissenschaft, mit denen man Erkenntnisse und Erfahrungen austauscht.

Kurz: Es braucht ein großes Netzwerk – und genau das ist Circular Valley.

Bei der 2021 in der weiteren Rhein-Ruhr-Region gegründeten Initiative kommen alle und kommt alles zusammen. Sie ist für die Circular Economy das, was das Silicon Valley für die Digitalwirtschaft ist. Circular Valley hat mehr als 150 Partner gewonnen und bringt diese zielgerichtet zusammen. Es fördert kontinuierlich internationale junge Unternehmen und gibt so wichtige Impulse in die etablierten Firmen. Und es teilt das gesammelte Wissen mit der Politik. Die wiederum unterstützt die Initiative intensiv: Circular Valley wird als vorbildliches Beispiel namentlich im Koalitionsvertrag von Nordrhein-Westfalen genannt. Sowohl das Wirtschaftsministerium mit Schirmfrau Mona Neubaur als auch das von Oliver Krischer geführte Umweltministerium des Landes fördern die Initiative – und bestätigen deren Motto: „Grow the economy, protect the environment“.

Regierungen loben und unterstützen Circular Valley

Die Praxis bestätigt das Circular Valley auf vielfache Weise. So haben zum Beispiel das Land Nordrhein-Westfalen und die Region Flandern die erste grenzüberschreitende Zusammenarbeit in der Kreislaufwirtschaft beschlossen. Die Vereinbarung dazu unterzeichneten die Ministerpräsidenten Hendrik Wüst und Jan Jambon Ende 2023 beim jüngsten Circular Valley Forum.

Circular Valley ist auch grenzüberschreitend tätig: Die Ministerpräsidenten Hendrik Wüst (NRW) und Jan Jambon (Flandern) unterzeichneten beim Circular Valley Forum die erste Vereinbarung zweier Regionen aus zwei Ländern über die Zusammenarbeit in der Kreislaufwirtschaft.
Foto: Jan Turek/Circular Valley

Die Bundesregierung hat eine Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie entwickelt. Damit möchte sie Umwelt und Klima schonen sowie eine sichere Rohstoffversorgung ermöglichen. Bundesumweltministerin Steffi Lemke lobte die Arbeit von Circular Valley deshalb ausdrücklich:
„Sie zeigen, welche Chancen in der Kreislaufwirtschaft stecken.“

Die praktische Bestätigung dieses Lobs zeigt sich in den Kooperationen, die im und durch Circular Valley möglich werden. So arbeiten zum Beispiel eine führende Krankenversicherung und ein führender Spezialchemiekonzern gemeinsam an den medizinischen Hilfsgeräten der Zukunft. Mit neuen Rollatoren oder Badewannenliften erfüllen sie ein Bedürfnis ihrer Kunden und werden zugleich den Anforderungen an ihre eigene Kreislauffähigkeit gerecht. Sie entwickeln hochwertigen Kunststoff, der für einen längeren Lebenszyklus des Rollators oder des Lifts sorgt – und dafür, dass am Ende hochwertiges Material übrigbleibt, das weiter und wieder eingesetzt werden kann.

“Für das Gelingen der Transformation zur Circular Economy brauchen wir dringend das Zusammenwirken der relevanten Akteure und Akteurinnen aus Industrie, Politik und Gesellschaft. Und genau dafür bietet Circular Valley eine großartige Plattform.“

Christian Kullmann
Vorstandsvorsitzender Evonik

Entscheider machen überraschende Erfahrungen

Die Transformation wird keiner allein schaffen. Es braucht die Zusammenarbeit verschiedener Unternehmen sowie über die Grenzen von Branchen und einzelnen Stoffkreisläufen hinweg. Auch in diesem Punkt schließt Circular Valley eine Lücke. Zum Partnertalk der Initiative kommen regelmäßig Führungskräfte aus verschiedenen Bereichen zusammen. Die Grundregel ist dabei ebenso einfach wie wichtig. Was dort besprochen wird, bleibt auch dort. Diese vertrauliche Atmosphäre ist für die Teilnehmenden überraschend und wichtig. Man kann offen über Herausforderungen sprechen, mögliche Lösungen austauschen und entdeckt dabei Möglichkeiten, an die man vorher nicht gedacht hat.

Ähnliche Erfahrungen machen die Beteiligten bei den Demo Days von Circular Valley. Das sind die Tage, an denen die Start-ups, die an einer Förderrunde des Circular Economy Accelerators teilgenommen haben, ihre Ideen und Geschäftsmodelle einem großen Publikum präsentieren. Die Demo Days haben zahlreiche Partnerschaften und Investments möglich gemacht. Immer mit Blick auf die Kunden.

So hat zum Beispiel Bayer das Start-up Bioweg kennengelernt und ein Memorandum of Understanding mit ihm unterzeichnet. Darin sind konkrete weitere Schritte in der Zusammenarbeit zwischen Dax-Konzern und aufstrebendem Unternehmen definiert. Die Partner wollen nachhaltige Materialien für Saatgutbeschichtungen entwickeln und die Einkapselung von kontrolliert freisetzenden Pflanzenschutzprodukten, die biobasiert und biologisch abbaubar sind. Das erweitert nicht nur die Möglichkeiten der Landwirte, einen größeren Nutzen aus ihrer Produktion zu ziehen, sowohl wirtschaftlich als auch ökologisch. Dieser radikal neue Ansatz kann auch dazu beitragen, die Landwirtschaft und unser Lebensmittelsystem widerstandsfähiger zu machen.

Geschäftsführer entdecken Gründer als Partner

Einen inzwischen typischen Circular-Valley-Moment erlebte auch Ralf Putsch, Geschäftsführer
des international tätigen Zangenherstellers Knipex, als er bei einem Demo Day die Gründer von Plastic Fischer hörte. Sie haben schwimmende Netze entwickelt, mit denen man Plastikmüll aus Flüssen holt, bevor dieser im Meer landet. Dieses System können die Mitarbeiter in Indien oder Indonesien leicht vor Ort aufbauen und so wertvolle Stoffe fürs Recycling sammeln.

Knipex-Chef Ralf Putsch war so begeistert von der Idee, dass er das Herausfischen der ersten 19 Tonnen des Start-ups finanzierte und sein Engagement anschließend mehrfach ausweitete. Er legte den Grundstein für Invests weiterer Partner und einen Meilenstein im November 2023: die 1000. Tonne Kunststoffmüll, die dank der Netze von Plastic Fischer nicht in den Ozean floss.

Wie Ralf Putsch ging es auch Iris und Andre Bovenkamp, geschäftsführende Gesellschafter des international tätigen Metallbandveredlers Huehoco. Die beiden sprachen auf einem Demo Day mit den Carbonauten. Beim anschließenden Treffen der Geschäftsführer beider Unternehmen zeigten sich zwei Besonderheiten: Die vier blieben nicht unter sich, sondern holten die Techniker von Huehoco dazu, um konkret über Herausforderungen und Lösungen zu sprechen. Außerdem merkten sie, dass sie neben gleichen Interessen auch gleiche Werte teilen.

Die Beteiligung von Huehoco als Gesellschafter der Carbonauten GmbH führte schließlich zum Start der Anlage der „minus CO2 factory 001“ im brandenburgischen Eberswalde. Sie ermöglicht CO2-Reduzierung im großen Stil und bedeutet einen wichtigen Schritt in Richtung Klimaneutralität. Ergebnis der Carbonauten-Prozesse sind so genannte Net-Materials. Net steht für „negative emission technologies“ und bedeutet, dass das Start-up Produkte wie CO2-negatives Kunststoffgranulat, biologisch abbaubare Mulchfolien und Baumaterialen auf den Markt bringen kann. Die Huehoco Gruppe wiederum prüft, ob die anfallende Wärme auf unterschiedliche Weise für die eigenen Standorte genutzt werden kann, wie z.B. über Einspeisung in ein ein existierendes Fernwärmenetzwerk.

Engagement eines erfolgreichen Managers

Ein Mann, der sich ebenfalls bestens mit Wünschen von Verbrauchern auskennt, unterstützt Circular Valley auf andere Weise. Dr. Günter Poppen, von 2017 bis Ende 2023 CEO der Vorwerk Elektrowerke, kümmert sich nun um Unternehmenskooperationen für die Kreislaufwirtschaft. „Angesichts der sichtbaren und beunruhigend schnellen Veränderungen in unserer Umwelt halte ich das persönlich für eine sehr wichtige Aufgabe und möchte mit dazu beitragen, diese Aufgabe zu lösen“, sagt Poppen und betont die Rolle der Wirtschaft für diese Aufgabe: „Große
Unternehmen haben durch ihre Power und ihren Marktzugang einen großen Hebel, um Dinge zu verändern. Wenn kleinere Unternehmen und Start-ups die Ideen und die Technologie liefern, können die Großen dafür sorgen, dass das auch beim Kunden ankommt.“

Der promovierte Maschinenbau-Ingenieur erläutert, welches Potenzial für die Unternehmen in der Kreislaufwirtschaft steckt: „Das ist auf keinen Fall ein Selbstzweck oder purer Altruismus, sondern bietet den treibenden Unternehmen Chancen: in der Wahrnehmung der Marke beim Kunden und nicht zuletzt, um den steigenden regulatorischen Anforderungen zu
begegnen.“

Junge Gründer und erfahrene Manager, Unternehmen und Kunden, Politik und Wissenschaft, verschiedene Branchen und Stoffströme – das alles kommt dank der Initiative aus der weiteren Rhein-Ruhr-Region zusammen. Im Circular Valley schließt sich der Kreis.

Der Autor:

Christian Herrendorf (46) ist Politologe und Journalist. Er hat mehrere Redaktionen in verschiedenen Medienhäusern geleitet und kümmert sich nun darum, die Idee und die Praxis von Circular Valley zu kommunizieren.