Business is Tech & Tech is Business
Fabian Schneider
Stefan Lemke
Marco Becker

Lesezeit:

Die Rolle der IT hat sich in den letzten Jahren grundlegend gewandelt. Sie ist nicht mehr nur für die Bereitstellung und den Support von IT-Services verantwortlich, sondern agiert als strategischer Partner, der die digitale Transformation vorantreibt und maßgeblich zum Unternehmenserfolg beiträgt. Fabian Schneider und Dr. Stefan Lemke diskutieren im Gespräch mit Marco Becker über diese neue Rolle der IT und die Bedeutung der Digitalisierung bei SIGNAL IDUNA unter anderem im Bereich des Underwritings.

Technologischer Wandel in der Versicherungs­branche: Von Mainframes zu digitalen Services

Marco Becker: Die Versicherungsbranche hat frühzeitig die Informationstechnologie (IT) als wesentlichen Bestandteil ihres Geschäftsmodells integriert. Dabei handelt es sich um ein datenbasiertes und komplexes Geschäft, bei dem virtuelle Produkte eine wichtige Rolle spielen. Die Wurzeln der Mainframe-basierten Legacy-Systeme in dieser Branche reichen bis in die 1970er-Jahre zurück, und die zugrundeliegende Technologie wurde teilweise bereits in den 1960er-Jahren entwickelt. Damals waren Rechnungswesen und die Finanzindustrie “early adopter” von Computern.

Das erkennt man daran, dass die Wurzeln der Mainframe-basierten Legacy-Systeme der Branche aus den 1970er-Jahren stammen und die zugrundeliegende Technologie zum Teil bereits in den 1960ern entwickelt wurde, wie z.B. das Informationssystem „IMS“. Im Laufe der Zeit wurden sukzessive die operativen Prozesse und später auch die Kundenprozesse durch den Einsatz von Computern unterstützt. Dieser Trend setzt sich bis in die heutige Zeit fort, in der eine umfassende Digitalisierung angestrebt wird. Allerdings geschah dies bisher meist im Rahmen einer Service-IT, die das eigentliche Versicherungsgeschäft lediglich unterstützte und verbesserte – kurz: “Business is Tech”.

Inzwischen sind die Kunden in Branchen wie der Logistik jedoch an deutlich weiterentwickelte digitale Services gewöhnt und entwickeln daher auch eine entsprechende Erwartungshaltung an ihre Versicherung. Hinzu kommt ein genereller Kostendruck, der moderne digitale Lösungen für personalintensive Tätigkeiten erfordert. Daraus ergibt sich ein hoher technologischer Veränderungsbedarf der Versicherungsbranche, der aber auch große Chancen für die Transformation und Weiterentwicklung des Geschäftsmodells darstellt.

Herr Schneider, wie ist Ihre Einschätzung hierzu?

Fabian Schneider: In einer dynamischen und komplexen Welt ist die Anpassungsfähigkeit von Versicherern entscheidend. Neue Mobilitätstrends, Extremwetterereignisse oder ein plötzlicher Anstieg der Inflation führen zu einer stetigen Neubewertung von Risiken und Versicherungsprodukten. Nicht die größten, sondern die anpassungsfähigsten Versicherer werden langfristig erfolgreich sein.

Diese Anpassungsfähigkeit erfordert agile Organisationsformen und modernste technische Voraussetzungen. So sind bereits heute Pricing-Verfahren im Einsatz, die zeitlich flexibel auf ansteigende Inflationsraten reagieren und zu einer stetigen Neubewertung der Untersegmente führen in der Kfz-Vollkasko-Versicherung stiegen die Preise aufgrund der Inflation in den letzten Jahren stärker als in der Kfz-Haftpflichtversicherung, da hier in der Regel neuere Fahrzeuge versichert sind. Moderne Pricing-Verfahren erkennen diese Veränderungen dynamisch und können Teilsegmente frühzeitig richtig bepreisen.

Daten sind die Zukunft. Und die ­Zukunft ist längst da!
Belastbare Daten sind auch im Underwriting unverzichtbar, da sie Versicherern helfen, fundierte Entscheidungen zu treffen und ihre Geschäftsprozesse zu
optimieren.

Ein weiterer wichtiger Aspekt in dieser dynamischen Welt ist die Fähigkeit, bestehende Versicherungslösungen an die Marktbedingungen anzupassen und neue Produkte mit einem schnellen „go-to-market“ für die Kundinnen und Kunden anzubieten. Ein Beispiel dafür sind neue Cyber-Versicherungs-Produkte zum Schutz vor Cyber-Attacken. Unsere Cyber-Versicherung schützt unsere Kundinnen und Kunden nicht nur gegen die finanziellen Folgen von Cyber-Attacken, sondern bietet auch Dienstleistungen zur Prävention oder zum Notfallmanagement im Schadensfall an.

In der Komposit-Versicherung wird der Einsatz künstlicher Intelligenz in den nächsten Jahren ein wesentlicher Wettbewerbsfaktor sein. Insbesondere in der Schadenbearbeitung werden Schadenregulierer bereits heute durch Bilderkennung bei der Identifikation von Betrugsversuchen unterstützt. Durch generative künstliche Intelligenz wird die Schadenbearbeitung zudem effizienter und genauer, da das Wissen den Schadenbearbeitern strukturiert vorliegt oder in Teilen bereits einfache Vorgänge durch künstliche Intelligenz automatisiert bearbeitet werden.

Die Digitalisierung ist im Underwriting von besonderer Bedeutung: Durch den Einsatz von Big Data und KI werden Risikoeinschätzungen präziser. Automatisierte Prozesse und digitale Tools unterstützen die Versicherer bei der Risikoselektion und der Preisgestaltung. Hiervon profitieren auch unsere Kundinnen und Kunden: Versicherungsanträge und -policen können schneller bearbeitet werden und die präzisere Risikobewertung ermöglicht eine maßgeschneiderte Angebotserstellung.

Ein wesentlicher Enabler für die Entwicklung dieser modernsten Tools und Technologien ist eine leistungsstarke IT-Landschaft. Niemand hat eine Glaskugel und kann vorhersehen, ob wir in Zukunft vollständig autonom Auto fahren oder ob künstliche Intelligenz ganze Branchen verändern wird. Aber schon heute ist klar: „Versicherungsunternehmen ohne anpassungsfähige IT-Systeme werden vor großen Herausforderungen stehen, um die Versicherbarkeit in einer solch dynamischen Welt aufrechtzuerhalten.“

Datengesteuerte Transformation in der Versicherungsbranche: SIGNAL IDUNA setzt auf den Daten & Analytik Tribe

Marco Becker: Wie man an diesen Worten erkennen kann, werden Geschwindigkeit und Reaktionsfähigkeit in Zukunft ein wesentlicher Erfolgsfaktor sein. Vor dem Hintergrund, dass das Versicherungsgeschäft vollkommen abstrakt und datenbasiert ist, kommt insbesondere der Datenbereitstellung und -nutzung eine besondere Bedeutung zu. Auch wenn die Branche bereits seit Jahrzehnten große digitale Datenbestände aufgebaut hat, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass die bisherigen Technologien eine alternative Nutzung jenseits der traditionellen Produktgestaltung erlauben. Auch ein modernes KI-System benötigt saubere und interpretierbare Datenbestände, für eine verlässliche und korrekte Nutzung.

Um dem Rechnung zu tragen, hat SIGNAL IDUNA einen Daten & Analytik Tribe gegründet, der in Zusammenarbeit mit vielen Teilen des Unternehmens Daten über moderne Technologien wie einen Data Lake und Data Marts hochverfügbar bereitstellt. Diese Daten können dann durch vom Business als Self Services genutzt werden oder kommen bei cross-funktionalen Teams zum Einsatz, die beispielsweise an Produkt- und Service-Weiterentwicklungen arbeiten oder Prozesse optimieren. Eine typische Anwendung ist die Steuerung des Einsatzes von Servicekapazitäten, bei der nicht nur auf die Auftragssituation der Kunden reagiert wird, sondern möglichst vorausschauend Kapazitätsbedarfe erkannt werden, um diese rechtzeitig zu decken.

Die Mission des Tribes geht aber noch viel weiter. Der Umgang mit Daten erfordert sowohl geschäftliches Verständnis als auch besondere technologische Skills. Deshalb entwickelt das Tribe Team nicht nur die eigenen Fähigkeiten weiter, sondern treibt das Wissen & Können zu Daten im ganzen Konzern voran und legt damit das Fundament für eine datengetriebene Kultur. Dies ist dann eine ideale Ausgangsbasis, um zukünftig in Zusammenarbeit von Fachbereich, IT und Data Engineers neue KI-Systeme zu entwickeln und sie für die spezifischen Anforderungen zu trainieren. Ein geeignetes Themengebiet hierfür ist beispielsweise die Kundenauftragsannahme, die sowohl telefonisch als auch per E-Mail oder Brief erfolgt. In jedem dieser Kommunikationswege werden zunehmend KI-Systeme zum Einsatz kommen, um das Kundenbedürfnis schnellstmöglich zu erkennen und in Kombination mit relevanten Vertragsdaten und der Historie zu erfüllen. Dies kann bei eindeutiger Datenlage hochautomatisiert erfolgen.

In 2025 wird SIGNAL IDUNA das erste Plateau der agilen Transformation erreichen. Quelle: SIGNAL IDUNA

Herr Lemke, wie schätzen Sie die Rolle der IT mit Blick auf all die Herausforderungen und Chancen?

Stefan Lemke: Technologische Neuerungen waren schon immer Ausgangspunkt für Veränderungen. Der israelische Historiker Yuval Noah Harari, beispielweise betont den Zusammenhang zwischen Innovationen und der Entwicklung von Märkten und Gesellschaften. Neue Technologien und damit verbesserte Verfahren schaffen neue Wertschöpfung und führen zu einer Umgestaltung von Markt und Wettbewerb. Diejenigen in unserer Branche, die diese neuen Möglichkeiten geschickt integrieren, wachsen und werden weiterhin erfolgreich sein. Wer aber mit „mehr vom Gleichen“ reagiert und womöglich – trotz dieser Veränderungsdynamik – an überkommenen tayloristischen Strukturen festhält, verliert an Boden.

Aktuell erleben wir mehrere technologische Innovationsschübe, die sich überlappen und schnell aufeinander folgen: Smartphones und Apps, die zunehmend als „KI-Agenten“ für Nutzer tätig werden, Daten- und Plattformökonomien, die wie Social Media das Endkundenverhalten beeinflussen, und hoch skalierbare Dienste der Cloud-Anbieter, mit denen sich schnell innovative Lösungen bauen lassen. Für Endkunden und Vertriebe wird sich daher viel verändern. Ebenso bedeutsam werden Innovationen in Betrieb und Service sein: Die Nutzung künstlicher Intelligenz, kluger Algorithmen verbunden mit „Big Data“ ermöglichen personalisierte Dienstleistungen und hocheffiziente Prozesse, die den traditionellen Methoden weit überlegen sind.

Diese Entwicklungen erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass Unternehmen, die nicht ausreichend in ihre Anpassungsfähigkeit investieren, ins Hintertreffen geraten. Die Notwendigkeit, die eigene Fitness kontinuierlich zu verbessern und in sie zu investieren, wird zur Überlebensfrage – „Business is Tech & Tech is Business“.

Es geht jetzt um die agile Zusammenarbeit in cross-funktionalen Teams, das Empowerment dieser Teams, die individuelle Lernbereitschaft und vor allem um den klaren Blick auf die zukünftigen Bedürfnisse unserer Kundinnen und Kunden, Vertriebe und Geschäftspartner vor dem Hintergrund der technologischen Möglichkeiten.

Die Zukunft gehört denjenigen, die bereit sind, ständig zu lernen und sich flexibel anzupassen. Agile Methoden und ein innovationsfreundliches Umfeld sind dabei unerlässlich, um im Wettbewerb bestehen zu können.

In einer Zeit rascher technologischer Innovationen ist es für Unternehmen entscheidend, nicht nur zu reagieren, sondern proaktiv die Möglichkeiten neuer Technologien zu nutzen. Dies erfordert eine Kultur des kontinuierlichen Lernens und der Offenheit für Veränderungen, unterstützt durch ein starkes Leadership und eine klare strategische Vision. Nur so können Unternehmen sicherstellen, dass sie nicht zurückfallen, sondern als Vorreiter die Zukunft gestalten.

Fazit

Marco Becker: Die Impulse für Innovationen kommen also nicht mehr nur aus dem Business, um das Kundenerlebnis zu verbessern oder Prozesskosten zu senken. Die IT wird selbst zum Gestalter des Geschäftsmodells. Dies zeigt sich in letzter Zeit insbesondere im KI-Umfeld. Schon heute unterstützt bei SIGNAL IDUNA ein KI-System die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dabei, die komplexen Vertragswerke in der Krankenversicherung so aufzubereiten, dass beispielsweise Leistungsanliegen von Kundinnen und Kunden schnellstmöglich und sachgerecht bearbeitet werden. Künftig werden wir in der Lage sein, Kundenbedarfe mit Hilfe dieser Technologie selbstständig zu erkennen und zu bedienen, sei es für ein Versicherungsprodukt selbst oder für eine damit verbundene Dienstleistung. So wird die IT unter anderem neue Formen der Kommunikation zwischen Kundinnen und Kunden, Vertriebspartnern und dem Versicherer ermöglichen und mehrwertschöpfende Services, beispielsweise in der Schadenregulierung, weit über das heutige Produktspektrum hinaus ermöglichen.

Damit gilt also: Business is Tech & Tech is Business!