Aufbruch zur Circular Economy: „Collaboration is key“

Der Wandel zu einer Circular Economy erfordert von jedem Unternehmen eine eigene tiefgreifende Transformation, bei der letztlich kein Stein auf dem anderen bleibt. Doch mit Mut und Entschlossenheit liegt darin die unternehmerische Opportunität des Jahrhunderts. Das Beispiel des Messtechnikherstellers Lorenz zeigt, wie der Weg zur Zirkularität gelingen kann. Ebenso wie die zahlreichen jungen Start-ups, die bereits heute einen entscheidenden Beitrag dazu leisten. Hier wie dort zeigt sich: Kollaboration ist der Schlüssel zum Erfolg.

Der gesamtindustrielle Wandel zu einer Circular Economy erfordert nichts anderes als die Summe zahlloser einzelner Transformationen auf Unternehmensebene. Trotz der bestehenden konzeptionellen Grundlagen und eines wachsenden Bewusstseins sehen sich viele Unternehmen mit erheblichen Herausforderungen konfrontiert, den eigenen Übergang hin zur Kreislaufwirtschaft zu meistern. Mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Deutschen Innovationspreis für Klima und Umwelt, stellt der Messgerätehersteller Lorenz eines der Fallbeispiele dar, anhand derer eine solche Transformation nahezu vollständig nachvollzogen werden kann. Dabei zeigen sich – wenngleich unter spezifischen Rahmenbedingungen – die enormen Potenziale für viele andere Unternehmen, auch und gerade aus der produzierenden Industrie.

Die Not zur Tugend

In den frühen 2000er Jahren vollständig „linear“ aufgestellt, sah sich das Familienunternehmen mit Preisdruck und Schwankungen an den Rohstoffmärkten konfrontiert. Vielfach reagierte die Branche einerseits mit der Produktionsverlagerung in Niedriglohnländer, und andererseits mit der Substitution von bleifreiem Messing als bewährtem Hauptmaterial durch (vermeintlich) günstigere Kunststoffe. Dies erfolgte unter Inkaufnahme hoher Energieverbräuche und kritischer Umweltwirkungen bei der Herstellung und Entsorgung sowie deutlich erhöhtem Verschleiß, Montageproblemen und Ausschuss.
Der Mittelständler stellte sich bewusst gegen diese Entwicklungen samt ihren ökologischen und sozialen Implikationen. Um am Markt bestehen zu können, brauchte es einen radikalen Gegenentwurf, wobei Lorenz aus der Not eine Tugend machte: Wasserzähler müssen aufgrund der Eichgesetzgebung und Messgenauigkeit regelmäßig ausgetauscht werden. Während im Falle von Single-Use-Fabrikaten die Verschrottung folgt, setzte Lorenz konsequent auf die Qualität und Langlebigkeit der eigenen Produkte, um diese nach Gebrauch von Messdiensten, Kommunen und Wasserversorgern zurückzunehmen. Anschließend konnten sie in eigens entwickelten Spezialmaschinen zerlegt und wieder aufgearbeitet werden, bevor die Komponenten wieder als neuwertige Teile dem Produktionsprozess zugeführt werden.

Von der Einzelmaßnahme zur Unternehmenstransformation

Was als Einzelmaßnahme begann, legte den Grundstein eines über die Jahre immer umfassenderen Kreislaufsystems und letztlich der Ausrichtung des gesamten Unternehmens auf die Circular Economy.
Entscheidend ist dabei das „Incentive Alignment“ der beteiligten Akteure: Nicht nur der Hersteller erzielt durch die Erhaltung einmal erbrachter Wertschöpfung signifikant reduzierte Material- und Prozesskosten, sondern auch dessen Kunden partizipieren an diesen Einsparungen. Konsequent zu Ende gedacht, wird selbst der Messinglieferant vom “Verkäufer” zum “Bereitsteller” des Rohmaterials, und partizipiert an dessen Nutzung und Kreislaufführung, anstelle der einmaligen Extraktion und Verarbeitung.
Noch stellen solche Servitization-Modelle längst nicht in allen Industrien einen Business Case dar, doch wenn Geschäftsmodell und Produktdesign zusammengedacht werden, können enorme Opportunitäten entstehen. Für Lorenz lag genau darin der nächste Schritt. Einhergehend mit einem zirkulären Redesign des eigenen Kernprodukts im Zuge der Umstellung auf Smart Meters, setzte Lorenz verstärkt auf sogenannte Produkt-Service-Systeme, welche nicht den Besitz eines Produktes, sondern dessen Leistungen in den Mittelpunkt rücken. Durch den Eigentumsverbleib und/oder vertragliche Regelung der Rückführung lohnt sich dann umso mehr auch das „Design for Circularity“ mit maximierter Lebensdauer und vollständiger Wiederverwendbarkeit aller Einzelteile oder des Gesamtprodukts über mehrere Produktlebenszyklen hinweg.
Wie zwischen Kunde, Hersteller und Lieferant, bedarf es auch unternehmensintern der Kollaboration: Entwicklung, Produktion, Logistik, Finanzen, … müssen im Einklang wirken, um das nötige Gesamtergebnis zu erreichen. Mehrere Millionen Geräte führt Lorenz heute im Kreislauf, manche davon bereits im dritten Zyklus. Die Transformation zur Circular Economy sicherte die Wettbewerbsfähigkeit und die Existenz des Unternehmens und stellt heute die entscheidende Basis für anhaltendes Wachstum dar: von anfangs rund 6 Millionen Euro Umsatz  und 60 Beschäftigten auf einen Umsatz von über 33 Millionen Euro und rund 300 Beschäftigte in 2022.

Lernen von Start-ups: „Collaboration is key“

Je komplexer eine Organisation oder eine Wertschöpfungskette, umso herausfordernder wird es, die Vielschichtigkeit und Gleichzeitigkeit der Veränderungen zu beherrschen und die benötigte interne wie externe Kollaboration zu organisieren. Der in vieler Hinsicht disruptive Charakter der Circular Economy eröffnet dabei auch vielversprechende Opportunitäten für neue Akteure, beispielsweise Start-ups. Doch „Circular Start-ups“ stellen bei Weitem nicht immer eine Bedrohung für etablierte Akteure am Markt dar, sondern können mit bestimmten Technologien oder Services sowie ihrer Flexibilität und Umsetzungsgeschwindigkeit zum wertvollen Partner und Enabler etablierter Spieler werden. Eine aktuelle CIRCULAR REPUBLIC-Analyse identifiziert 171 solcher Jungunternehmen innerhalb Deutschlands und über 400 europaweit, und gliedert diese dabei entlang der sechs Cluster „Circular Inputs“, „Product as a Service“, „Sharing Platforms“, Product Life Extension“, „Resource Recovery“ und „Circular Enablement“.
Unter dem Dach der Münchner Start-up-Fabrik UnternehmerTUM schafft CIRCULAR REPUBLIC gezielt Programme und Infrastruktur, um solche Start-ups zu fördern, und formiert mit etablierten Unternehmen eine Industrieallianz für die Circular Economy. Beide Welten fließen in Multi-Stakeholder-Projekten entlang spezifischer Wertschöpfungsketten zusammen, um Sektor für Sektor die Produkt-, Stoff- und Materialkreisläufe zu schließen.

Die Autoren:
Niclas-Alexander Mauß, Susanne Kadner, Matthias Ballweg und Wilhelm Mauß (von links nach rechts)

Wilhelm Mauß ist Geschäftsführer der Lorenz GmbH & Co. KG.

Susanne Kadner, Matthias Ballweg und Niclas-Alexander Mauß sind die Co-Founder von CIRCULAR REPUBLIC, einer Initiative von UnternehmerTUM, Europas größtem Zentrum für Gründung und Innovation. Susanne Kadner hatte zuvor die Circular Economy Initiative Deutschland initiiert und geleitet. Matthias Ballweg war zuletzt Director bei SYSTEMIQ. Niclas Mauß leitete einen Inkubator bei UnternehmerTUM, während er parallel – nicht zuletzt aufgrund der Vorerfahrung bei Lorenz – an der TU München Deutschlands größten Forschungsverbund für Circular Economy initiierte und aufbaute.