Das Finanzierungsumfeld für Unternehmen hat sich seit Anfang 2022 signifikant gewandelt. Nach über einer Dekade mit Niedrigzinsen hat die EZB die Zinswende eingeleitet und den Leitzins in mehreren Schritten auf das höchste Niveau seit 2009 angehoben. Das veränderte Zinsumfeld stellt für die Finanzierung von Zulieferern eine „Zeitenwende“ dar. Die Refinanzierung von Fremdkapital muss daher frühzeitig und unter Einbezug aller Handlungsoptionen strategisch geplant werden.
Die Zinswende hat die Finanzierungskosten vieler Unternehmen, die aufgrund des billigen Geldes und der vergangenen Krisen (z.B. COVID-19) hoch verschuldet sind, zum Teil deutlich erhöht. Automobilzulieferer wurden hiervon besonders getroffen, da sie durch den Transformationsprozess unter zusätzlichem Druck stehen. Die damit verbundene hohe Unsicherheit bzgl. der wirtschaftlichen Entwicklung sowie die bereits hohen Kreditbestände mancher Banken für die Automobilbranche haben dazu geführt, dass die Kreditvergabe deutlich eingeschränkt wurde.
Maßgeschneiderte „Debt Story“
Vor diesem Hintergrund ist eine individuelle und gut ausgearbeitete „Debt Story“ unabdingbar geworden. Diese benötigt ein zukunftsfähiges Geschäftsmodell und muss beschreiben, wie die notwendige Transformation zu alternativen Antrieben umgesetzt oder die generelle Abhängigkeit von der Automobilindustrie verringert wird.
Zudem sollte ausreichend Zeit und Liquiditätspuffer eingeplant werden, da die Finanzierungsprozesse aufgrund personeller Kapazitätsengpässe und intensiveren Prüfungen derzeit länger dauern als in der Vergangenheit und gewohnte Partner eventuell nicht mehr zur Verfügung stehen. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund der Prüfung des „going concerns“ relevant.
Debt Funds als alternative Finanzierungsquelle
Mit der Bereitstellung von flexiblen Finanzierungen und alternativen Strukturen konnten die Debt Funds deutlich Marktanteile gewinnen und sind somit ein wichtiger Finanzierungspartner für Unternehmen geworden.
Sie bieten Unternehmen meist eine höhere Flexibilität bei (i) der maximalen Verschuldung, (ii) den Covenants, (iii) dem Tilgungsprofil und (iv) erlaubten Dividenden. Zudem sind viele Strukturen denkbar (Holding-Finanzierung, Mezzanine, Quasi-Eigenkapital etc.). Ein weiteres wichtiges Kriterium sind die erhöhte Ausführungsgeschwindigkeit und kurze Entscheidungsprozesse.
Debt Funds bieten sich auch zunehmend als geeigneter Partner im Restrukturierungsumfeld an. Strikte Sanierungsvereinbarungen mit Bestandsbanken, die notwendige Maßnahmen verbieten oder nur mit hohem Aufwand und Waivern möglich machen, können so gegebenenfalls frühzeitig beendet werden. Notwendige Investitionen in die strategische Transformation können mit dem neuen Kreditgeber vorab vereinbart werden und sind somit früher umsetzbar.
M&A als Ergänzung oder Alternative
Falls eine „klassische“ Fremdkapitalrefinanzierung für Zulieferer unter den aktuellen Marktbedingungen nicht oder nur unter unzumutbaren Konditionen durchführbar erscheint, eröffnen sich durch Mergers & Acquisitions weitere Handlungsoptionen. Diese ermöglichen es gegebenenfalls, die erforderliche Finanzierung ganz oder teilweise durch Eigenkapital zu sichern und gleichzeitig durch eine strategische Neuausrichtung des Geschäftsmodells die Basis für eine künftige Fremdfinanzierung zu optimieren. Dabei kommen drei M&A-Strategien am häufigsten zur Anwendung:
1. Kapitalerhöhung: Ein M&A-Prozess eröffnet Automobilzulieferern die Möglichkeit, durch die gezielte Aufnahme eines oder mehrerer Investoren neue Finanzmittel auf dem Wege einer Kapitalerhöhung einzuwerben. Abhängig von der Art des Investors können neben dem reinen Zufluss von Finanzmitteln auch weitere strategische Vorteile entstehen. Beispiele hierfür sind der Zugang zu alternativer Antriebstechnologie sowie zu neuen Kunden oder Märkten. Eine strategische Prämie auf die Bewertung des Unternehmens und damit die Optimierung des Kapitalzuflusses ist in den meisten Fällen nur über die Abgabe eines Mehrheitsanteils erzielbar.
2. „Managed Exit“ und Carve-out: Die Ausgliederung und Veräußerung von “non-core“- bzw. „non-performing“-Geschäftsbereichen kann in unterschiedlicher Weise Freiräume für die Finanzierung schaffen: (i) durch eine Reduzierung der bestehenden Verschuldung, (ii) durch die Verbesserung der Profitabilität des verbleibenden Kerngeschäfts sowie (iii) durch die Erzielung eines Verkaufserlöses. Die strategische Trennung von Geschäftsbereichen kann daher einen wesentlichen Beitrag zur Refinanzierung des Unternehmens leisten.
3. Komplettverkauf: Schließlich ist auch der Verkauf des gesamten Unternehmens eine Option, die Fortführung des Geschäftsbetriebs sicherzustellen, wenn die Refinanzierung über Fremdkapital nicht möglich oder rentabel erscheint und Teilverkäufe nicht in Frage kommen.
Strategischer Dual-Track-Ansatz
Um eine optimale Finanzierung zu gewährleisten, kann ein strukturierter Prozess aufgesetzt werden, bei dem sowohl eine Eigenkapital- als auch eine Fremdkapitalaufnahme geprüft werden – ein sogenannter Dual-Track-Ansatz. Dieser Ansatz findet häufig in zwei Varianten Anwendung:
1. Attraktivere „Debt Story“ durch vorgeschaltete Eigenkapitaltransaktion: Durch eine Kapitalerhöhung oder einen Carve-out von Geschäftsbereichen kann das Unternehmen seine Eigenkapitalbasis stärken. Gleichzeitig wird Fremdkapital eingeworben, wobei die, durch die Kapitalerhöhung optimierte, Kapitalstruktur im Rahmen der Fremdfinanzierung vermarktet
wird. Durch dieses Vorgehen verbessern sich häufig die Voraussetzungen für eine Refinanzierung durch Fremdkapital erheblich.
2. Wahl aus Eigenkapitaltransaktion oder Fremdkapitalfinanzierung: Des Weiteren besteht die Möglichkeit, eine Kapitalerhöhung oder einen M&A-Prozess für bestimmte Unternehmensbereiche vorzubereiten und gleichzeitig einen Prozess zur Fremdkapitalfinanzierung einzuleiten. Bei richtiger Koordinierung und optimaler zeitlicher Abstimmung beider Prozesse kann eine parallele Durchführung dazu führen, dass dem Unternehmen eine Auswahl beider Handlungsoptionen zur Verfügung steht. Dies kann Flexibilität im Hinblick auf eine optimale Finanzierungsstruktur eröffnen.
Handlungsempfehlung im aktuellen Umfeld
Die Nutzung von Mergers & Acquisitions als Instrument zur Finanzierungsgestaltung kann zahlreiche Vorteile im Hinblick auf die Schaffung von Handlungsoptionen bei Finanzierungserfordernissen eröffnen. Entscheidend ist dabei, den Finanzierungsbedarf rechtzeitig zu erkennen, die Möglichkeiten für eine tragfähige reine Fremdfinanzierung vor dem Hintergrund des Zins- und Marktumfelds richtig einzuschätzen und strategische Optionen rechtzeitig zu identifizieren und zu initiieren. Zu oft scheitern Finanzierungsoptionen letztlich an der fehlenden Zeit, die strukturierte Prozesse für nachhaltige Lösungen benötigen.
Die Autoren:
Jens von Loos ist Managing Director bei Deloitte und leitet den Bereich Debt & Capital Advisory in Deutschland. Er verfügt über 20 Jahre Erfahrung und hat als Investment Banker insbesondere große mittelständische Unternehmen aller Bonitätsklassen bei diversen Finanzierungsanlässen beraten.
Philipp Gebhard ist Managing Director bei Deloitte im Bereich M&A Advisory. Er verantwortet für M&A Advisory den Automotive-Sektor und begleitet insbesondere mittelständige Automobilzulieferer, Private Equity Funds sowie Automobilkonzerne.