Agilität durch Process Mining

Die Automobilindustrie ist aktuell – vermutlich mehr als jeder andere Industriezweig – einem massiven Wandel unterworfen. In den nächsten 10 Jahren werden Veränderungen Einzug halten, wie wir sie aus den letzten 50 Jahren nicht kannten. Diese reichen von Digitalisierung über Elektrifizierung, autonomes Fahren bis hin zu alternativen Verkehrskonzepten in den Metropolregionen. Neue Mitbewerber aus anderen Branchen erhöhen den Druck auf die etablierten Hersteller. Um flexibel und agil auf neue Herausforderungen reagieren zu können, werden effiziente Prozesse benötigt. Hierfür setzt die BMW Group in praktisch allen Bereichen des Unternehmens das Instrument Process Mining ein.

Das Akronym VUKA beschreibt in der Literatur die Herausforderungen, die unsere sich stets verändernde Welt für Unternehmen bereithält. Es steht für Volatilität / Veränderlichkeit, Unsicherheit, Komplexität, Ambiguität. Niemand kann mit Sicherheit sagen, wie sich Märkte, Wettbewerber und Technologien in den nächsten Jahren genau ändern werden und wie wir uns am besten dazu aufstellen. Was wir aber wissen, ist, dass sie sich verändern und dass wir schnell auf diese Veränderungen reagieren müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Während wir gleichbleibenden Herausforderungen mit festgelegten Strategien, Strukturen und Prozessen angemessen begegnen konnten, benötigen wir in unserer modernen Welt immer mehr die Fähigkeit, unsere Strategien, Strukturen und Prozesse flexibel an die tatsächlichen Gegebenheiten anzupassen (bei gleichbleibender Produktqualität). Diese neue Denk- und Arbeitsweise lässt sich unter dem Begriff „Agilität“ zusammenfassen. Die agilsten Unternehmen einer Branche sind im Zehn-Jahres-Vergleich 2,7-mal erfolgreicher als ihre Wettbewerber (siehe erster europäischer Agile Performer Index – ermittelt durch goetzpartners und die NEOMA Business School *).

Process Mining ist für die BMW Group ein zentrales Werkzeug, um diesen neuen Herausforderungen zu begegnen und unsere Prozesse zukunftsfähig zu machen. Anders als viele Unternehmen setzt die BMW Group Process Mining daher nicht nur für typische Standardanwendungsfälle (Purchase-to-Pay, Order-to-Cash etc.), sondern entlang der gesamten Wertschöpfungskette ein. Diese reicht von der Entwicklung über die Produktion, Änderungs- und Qualitätsprozesse, Fahrzeugfinanzierung, Kundenerlebnis, Aftersales bis hin zu Mobilitätsdienstleistungen.

Agilität durch Transparenz

Moderne Prozesse sind häufig äußerst komplex sowie IT-system- und abteilungsübergreifend. Endnutzer des Prozesses kennen daher meist nur den für sie relevanten Teilprozess und auch
dort nur die Prozessvarianten, die sie selbst nutzen. Diese fehlende Transparenz kann zu Misstrauen zwischen den Prozessteilnehmern, suboptimalen Entscheidungen und Inflexibilität führen. Nur wer seine Ist-Prozesse vollständig und im Detail kennt, kann zudem jederzeit auf VUKA-Herausforderungen reagieren.

BMW Group Praxisbeispiel: Wir können in nahezu Echtzeit z.B. Unregelmäßigkeiten im Lackprozess erkennen, deren Ursache analysieren und darauf reagieren. Hierdurch können Ausfälle in der Produktion und damit verbundene Mehrkosten vermieden werden.

Agilität durch Standardisierung

Während im Automobilsektor etablierte Unternehmen meist viele historisch gewachsene Prozessvarianten haben, die Prozessverbesserungen erschweren, können neue Mitbewerber oft deutlich kürzere Entwicklungszyklen vorweisen, da sie (noch) einen höheren Standardisierungsgrad einhalten. Jede zusätzliche Variante bindet Ressourcen. Mit Hilfe von Process Mining erkennen wir, wo Standardisierung Einsparungen bringt und welche Prozessvarianten für unsere Kunden einen Mehrwert liefern und daher beibehalten werden sollten.

BMW Group Praxisbeispiel: Prozesse in unseren Finanzsystemen bieten grundsätzlich ein hohes Effizienzpotential durch Prozessautomatisierung (Robotic Process Automation). Aktuell weisen die Systeme aufgrund hoher individueller Anpassungsmöglichkeiten allerdings eine sehr große Variantenvielfalt auf, die eine solche Prozessautomatisierung unrentabel macht. Process Mining ist hier die Voraussetzung, um den notwendigen Standardisierungsgrad zu erreichen.

Agilität durch Geschwindigkeit

Über Jahre historisch gewachsene Prozesse sind häufig optimierbar. Durch Process Mining gelingt es uns, Potenziale zur Automatisierung und Reduzierung nicht wertschöpfender Prozessschleifen zu identifizieren. Die Wirkung dieser Prozessoptimierungen kann darüber hinaus zeitnah überprüft werden. Wenn wir Prozesse schneller und mit weniger manuellem Aufwand durchlaufen können, kann die frei gewordene Zeit bei den Mitarbeitern eingesetzt werden, um flexibler auf neue Anforderungen reagieren zu können.

BMW Group Praxisbeispiel: Fahrzeugentwicklungsprozesse können mit Process Mining verschlankt und teilweise deutlich beschleunigt werden.

Agilität durch Qualität

Mit Hilfe von Process Mining lassen sich Handlungsbedarfe im Bereich Qualität nicht nur transparent machen, sondern auch deren Ursache im Detail analysieren. Während herkömmliche Business Intelligence-Tools mit Hilfe von KPIs zwar auf Schwierigkeiten im Prozess hinweisen können, geht Process Mining einen entscheidenden Schritt weiter und hilft dem Mitarbeiter zu verstehen, an welchen Stellschrauben er drehen muss, um diese zu beheben. Die Reduzierung von Handlungsbedarfen im Bereich Qualität schafft freie Ressourcen und fördert damit Agilität.

BMW Group Praxisbeispiel: Im Bereich Aftersales kann Process Mining optimierbare Prozess-Performance identifizieren. Hohe Qualität in diesem Bereich wiederum erhöht die Kundenzufriedenheit und führt zu einer starken Bindung der Kunden an die Marken der BMW Group.

Fazit und Ausblick

Jährlich werden zahlreiche Optimierungsprogramme gestartet, um zukunftsfähig aufgestellt zu sein und besser auf VUKA reagieren zu können. Die meisten dieser Transformationsprogramme sind dabei allerdings aufgrund der Prozess-Komplexität, fehlender Transparenz und unzureichender Monitoringmöglichkeiten wenig erfolgreich. Process Mining schließt genau diese Lücken und unterstützt damit Transformation und Agilität optimal.

Die Autoren:

Kai Demtröder ist Vice President vernetztes Fahrzeug, digitales Backend und Big Data bei der BMW Group. Seine Fokusthemen sind u.a. maschinelles Lernen, künstliche Intelligenz und Blockchain-Technologien. Studium der Luft- und Raumfahrttechnik  mit Schwerpunkt Numerik,  seit 2005 bei der BMW Group.

 

Dr. Patrick Lechner ist Leiter des BMW Group Kompetenzzentrums für Process Mining und Senior Project Lead für Big Data, Advanced Analytics und künstliche Intelligenz. Promovierter Mathematiker und MBA, seit 2012 bei  der BMW Group.

 

 

*) Siehe erster europäischer Agile Performer Index – ermittelt durch goetzpartners und die NEOMA Business School