Abschied nehmen von festgefahrenen Vorstellungen

In der Arbeitswelt brodelt es. Der demographische Wandel, die Inflation, Klimawandel und eine auf einmal unsichere globale Welt. Eine Stapelkrise, wenn nicht sogar eine Omnikrise. Geht die Welt langsam unter – und wir müssen handlungsunfähig zusehen? Mitnichten.

Wir befinden uns in Zeiten des Umbruchs, einem Wandel der Epochen, und das tut weh. Gut so, denn nur so kommen wir in die Zukunft. Wir bewegen uns aus dem Industriezeitalter in ein neues. Aber wohin die Reise geht, erscheint vielen unklar. Sorgen um Wohlstandsverlust und eine angeblich leistungsunfähige nächste Generation verdecken die Sicht. Oft wird vom Informationszeitalter gesprochen, gelegentlich sogar so getan, als wären wir schon dort. Vor allem in Deutschland wissen wir, da ist es noch ein wenig hin – die Faxmaschine lässt grüßen.
Vor allem die jüngeren Generationen, die Talente, um die sich viele Unternehmen nun reißen, fordern allerdings noch etwas anderes, nebst der Digitalisierung: Sie wollen, dass sich ihre Leistung lohnt. Sie wollen nicht endlos langweiligen „Beschäftigungen“ nachgehen, um nur knapp über die Runden zu kommen. Zurecht hinterfragen sie unsere altbestehenden, festgefahrenen Wertvorstellungen zum Thema Leben und Arbeit.
Wie können Unternehmen also in Zeiten solcher Transformation Talente nicht nur anwerben, sondern sogar halten?

Das Homeoffice – ein kleiner Vorgeschmack

Ein kleiner Vorgeschmack des Wandels, der uns zweifelsohne bevorsteht, war sicherlich das erzwundene Homeoffice. Durch die Pandemie bedingten Lockdowns wurden die Wünsche so mancher Mitarbeiter:innen wahr, das ortsunabhängige Arbeiten endlich zu realisieren. Sogar in einem nicht sonderlich digitalisierten Land wie Deutschland lief es überraschend gut, so ehrlich müssen wir sein.
Gleichzeitig zeigte es aber die Grenzen der endlosen Videokonferenzen auf. Jeder Mensch, der mehr als eine Stunde – geschweige denn fünf – in Videokacheln verbringen musste, weiß von dem Leid dieser digitalen Überdosis. Es war zu einem gewissen Grad dieses Übermaß, das wir brauchten, um zu erkennen, was diese neue Arbeitsform kann und was nicht. Den sozialen Austausch im Office kann es nicht ersetzen, das haben wir nun schmerzhaft erleben müssen.
Zugleich wurde aber auch klar, dass konzentrierte Arbeit – ganz ohne Ablenkung – zuhause wesentlich effizienter getätigt werden kann. Somit wird diese vermeintliche Revolution zu einem Bestandteil des Werkzeugkoffers der Arbeitswelt von morgen.

Die Flucht vor der „abgesessenen Zeit“

Das polarisierende Homeoffice ist somit abgehakt, blicken wir also auf den wahren Generationenkonflikt am Arbeitsmarkt, den „War for Talents“, und lassen wir uns nicht weiter von der Scheindiskussion rund um das ortsunabhängige Arbeiten blenden. Viele der leistungsfähigen Talente wollen ihre Produktivität schlicht und ergreifend nicht mehr an abgesessener Zeit gemessen haben. So bestraft man nämlich effiziente Mitarbeiter:innen mit mehr Arbeit, während die Schlausten jene sind, die verdammt gut darin geworden sind, so zu tun, als würden sie den ganzen Tag schuften – aber eigentlich Katzenvideos gucken. Leistung soll sich doch lohnen.

Fachkräftemangel, Sinnhaftigkeit und ein neuer Ruf nach Freiheit – Arbeitgebern fällt es zunehmend schwerer, junge Leute für das eigene Unternehmen zu gewinnen. Denn durch Technologie und Fortschritt ergeben sich neue Arbeitswelten, die vielen Menschen mehr Selbstbestimmung versprechen. Homeoffice, mobiles Arbeiten und auch das Work-Life-Blending sind zukunftsfähige Erwerbskonzepte, für die der Autor Tristan Horx in seinem neuen Buch „Sinnmaximierung, Wie wir in Zukunft arbeiten“ wirbt.

Es ist kein Wunder, dass so viele junge Talente in die Start-Up Szene flüchten, wo man wirklich nur an der eigenen Leistung gemessen wird. Dort gibt es kaum Arbeitszeiterfassungen, es zählt nur der Erfolg, im guten wie im schlechten Sinne. Denn diese neue Unternehmenswelt ist extremst risikobehaftet, was in so unsicheren Zeiten wie jetzt nicht unbedingt attraktiv ist. Hier bietet sich die Chance für die Unternehmen, junge, motivierte und ambitionierte Talente anzuziehen.
Denn demographisch wird es mit den Arbeitskräften knapp. Wir haben schlicht und ergreifend nicht mehr genug warme Körper, um die Stellen in Zukunft zu füllen. Jeder, der dies anzweifelt, möge sich die Bevölkerungspyramide anschauen, die schon längst keine mehr ist. Demographie ist brutal und unausweichlich. Aber zum Glück leben wir in einer globalisierten und digitalisierten Welt, in der man auf der Suche nach Talenten nicht nur auf das eigene Land beschränkt ist. Somit sollten sich Unternehmen immer mehr darauf einstellen, von außerhalb der eigenen Sprach- und Kulturkreise zu rekrutieren. Als guten Nebeneffekt führt das auch zu höherer Diversität, die lange schon von den jungen Talenten hierzulande gefordert wird.

Notwendig ist eine neue Vertrauenskultur

Die Grundlage für die neue funktionale Arbeitswelt ist somit etwas, das oft gepredigt wurde, aber nie wirklich ernst gemeint war: Vertrauen. Wenn abgesessene Zeit nicht mehr genutzt werden kann, um den Mitarbeiter:innen dauernd auf die Finger zu schauen, braucht es eine neue Vertrauenskultur in Unternehmen. Einerseits ist es notwendig, um die individuellen Bedürfnisse der unterschiedlichen Tätigkeiten innerhalb einer Organisation adäquat mit den neuen Werkzeugen der Arbeitswelt auszustatten, andererseits erhöht es auch die Bindung an die Firma sowie die Attraktivität für junge Talente. Denn oft ist es die Firmenkultur, die zum raschen Verlassen zwingt, nicht die Bezahlung. Notgedrungen versuchen sich viele Unternehmen attraktiv zu machen, indem sie Arbeitsbedingungen bewerben, die sie in der Realität nicht halten können. Nach der Desillusionierung der neuen Arbeitskräfte ist ihre Kündigung dann kein Wunder mehr.
Das Büro ist nicht tot. Es hat sich neu gefunden als ein Ort der Begegnung. Ein Ort des Vertrauens, des Austausches, der Gemeinsamkeit. Das Homeoffice wird nicht wieder verschwinden, ist aber nicht der eigentliche Grund für den Generationenkonflikt am Arbeitsmarkt. Demographie ist der wahre Treiber unseres Arbeitskräftemangels.
Die jungen Talente sind nicht faul und arbeitsunwillig, sie hinterfragen Zeit als Indikator für Produktivität, wollen für ihre Leistung belohnt statt abgeschrieben werden. Wie diese neue Leistung bemessen werden kann, ist von Beruf, Tätigkeit und Individuum abhängig – und verlangt somit Empathie und Differenzierung statt Kontrolle und Autorität vom Management.
So möge der freie Markt der Talente jene Unternehmen belohnen, die ihre Mitarbeiter:innen als Individuen wahr- und ernstnehmen und durch die unsicheren Zeiten unserer Gegenwart führen. Vertrauen wird die Währung der Zukunft. Jene Führungskräfte, denen es nicht gelingt, solche Unternehmenskulturen glaubhaft zu schaffen und zu erhalten, werden nicht mithalten können.

Der Autor:
Tristan Horx steht seit seinem 24. Lebensjahr als Speaker aus der Generation Y auf internationalen Bühnen. Sein Thema ist die Zukunft. Geboren wurde er knapp vor der Jahrtausendwende und gehört damit zur begehrten Zielgruppe der „Millennials“. Sie steht mit ihren Interessen und Motiven im Fokus vieler Unternehmen, wenn es um Fragen des gesellschaftlichen Wandels, um Kultur, aber auch um ein neues wirtschaftliches Denken geht.