Die nachhaltige Transformation – groß denken und gemeinsam handeln

Ohne Nachhaltigkeit geht es nicht, das ist in der Konsumgüterbranche längst allen klar. Es gibt Ziele, Pläne und erste Erfolge. Doch die bisherigen Anstrengungen werden kaum reichen, um unseren Planeten langfristig zu retten. Nun stehen die echten Herausforderungen an – und alle fragen sich, wer den Wandel vorantreiben kann.

Nachhaltigkeit und Profitabilität sind zwei Seiten derselben Medaille. Diese Erkenntnis ist in der  Konsumgüterindustrie angekommen. Fast alle haben verstanden, dass nachhaltiges Wirtschaften Kosten senkt, Resilienz verleiht und angesichts volatiler Energiepreise immer öfter zur Überlebensfrage wird. Allen ist klar, dass es ein Weiter-so nicht geben darf, wenn unsere Erde auch in 50 Jahren noch bewohnbar sein soll – und die Konsumgüterindustrie eine treibende Kraft für den notwendigen Wandel sein kann.
Entsprechend ambitioniert fallen deren Ziele in Sachen Nachhaltigkeit aus. Designer und Modeverbände rufen dazu auf, nur noch zwei Kollektionen pro Jahr zu vermarkten. Versandhäuser stellen ihre Lager auf Ökostrom um, und Fast-Fashion-Marken setzen Recycling-Systeme auf. In den Supermärkten verdrängen Sojaburger und Seitanwürste konventionelle Hähnchenbrustfilets aus den Kühlregalen, Bio-Gurken und regionale Produkte laufen herkömmlicher Ware im Gemüseregal den Rang ab und am Kassenband sieht man zunehmend Verpackungen aus Papier statt Plastik.
Laut Handelsverband HDE haben 93 Prozent aller Handelsunternehmen in den vergangenen fünf Jahren mindestens eine Energiesparmaßnahme umgesetzt. Über 95 Prozent aller Konsumgüterhersteller beschäftigen nach den Ergebnissen einer Studie von Strategy& einen Chief Sustainabilty Officer (CSO). Und mehr als die Hälfte aller deutschen CEOs will laut PwC Global CEO Survey stärker in die Dekarbonisierung des eigenen Geschäftsmodells investieren.

Die harten Nüsse kommen erst noch

Es sind Zahlen und Entwicklungen, die nach Aufbruch und Optimismus klingen. Doch statt Euphorie herrscht in vielen Konsumgüterunternehmen eine gewisse Ratlosigkeit. Der Grund: Trotz ehrgeiziger Projekte und großer Anstrengung zeichnet sich ab, dass die selbst gesteckten Nachhaltigkeitsziele nicht reichen werden, um unseren Planeten zu erhalten. Es kristallisiert sich heraus, wie viele Facetten das Thema Nachhaltigkeit besitzt und wie sehr es Unternehmen durchdringt. Nach und nach reift die Erkenntnis heran, dass die Vision einer nachhaltigen Konsumgüterbranche ohne das Knacken der wirklich harten Nüsse kaum zur Realität werden wird.
Was das für die Praxis bedeutet, zeigt sich etwa in der Nahrungsmittelversorgung. Trotz Solarpanels auf Supermarktdächern, trotz wachsender Produktion von Bio-Gemüse und trotz neu entwickeltem Sojafleisch gehen laut Umweltbundesamt weiterhin 24 Prozent aller Treibhausgase auf die Landwirtschaft zurück. In ihrem derzeitigen Zustand lässt sie für Biodiversität wenig Raum, nimmt riesige Flächen ein und verschmutzt Grundwasser und Böden.  Innovative Ansätze wie die von Umami, Bayer oder Interzero beweisen, dass die Transformation trotz allem gelingen kann, zeigen aber zugleich, dass es enorme Kraftanstrengungen dafür braucht.

Jetzt entscheidet sich, wer in der neuen, nachhaltigen Wirtschaftswelt den Ton setzt.

Das gleiche gilt für Großprojekte wie die Dekarbonisierung der Lieferketten, etwa im Fashion-Bereich. Es hilft, wenn Modeketten Recycling-Aktionen ins Leben rufen, Bio-Baumwolle verweben oder im Versand CO2 einsparen. Ein Großteil der Emissionen stammt allerdings aus vorherigen Schritten der Produktion, etwa der energieintensiven Verarbeitung der Rohstoffe. In der Gesamtbilanz nehmen die Emissionen der Modeindustrie deswegen Jahr für Jahr zu – und könnten laut Berechnungen der Ellen MacArthur Foundation ohne Gegenmaßnahmen bis 2050 sogar um 50 Prozent steigen. Hier beweisen viele Marktspieler, dass es smarte Lösungen für die Herausforderungen gibt. Unternehmen wie Faber-Castell und Swarovski zeigen, dass es hilft, wenn die Nachhaltigkeit bereits in der eigenen Firmen-DNA steckt und von Grund auf mitgedacht wird. Und dennoch offenbart sich auch dann erst durch die genaue Beschäftigung mit der Herausforderung deren Komplexität.

Der Druck von außen steigt

Zugleich steigt von außen der Druck, und die Richtung der Regulatorik ist klar: schärfere Vorgaben, stärkere Verantwortung, schmerzhaftere Sanktionen. Neben großen Rahmenverträgen wie dem Pariser Klimaabkommen oder der EU-Taxonomie existieren inzwischen etliche Regelsätze, die sehr genaue und spezifische Grenzwerte festlegen – vom Rezyklat-Anteil in Plastikflaschen, über den Anteil wieder verwendbarer Verpackungen im Fast-Food-Sektor bis hin zu Kriterien für den Bio-Gemüseanbau.

Ob Verschmutzung von Böden und Gewässern, steigende Treibhausgasemissionen entlang der Lieferkette oder Verpackungsmüll: Die Konsumgüterbranche steht vor enormen Herausforderungen (Quelle: PwC Strategy&)

Aktivist:innen prägen die öffentliche Diskussion, und die Präferenzen der Konsument:innen verschieben sich. In Deutschland achten laut PwC-Umfrage bereits 6 von 10 Verbraucher:innen beim Einkaufen stets oder häufig auf die ökologische, ökonomische oder soziale Nachhaltigkeit von Händlern und Herstellern. Bei den unter 35-Jährigen sind es sogar zwei Drittel. Im Supermarkt schauen 81 Prozent bereits auf eines der ESG-Kriterien, vor allem auf den Umweltaspekt. Beim Kauf von Kleidung oder Schuhen sind es 63 Prozent – hier spielt der soziale Bereich die größte Rolle.

Wer jetzt voranprescht wird langfristig belohnt

Nach einer Phase des Tatendrangs läuft die Branche nun Gefahr, in Ernüchterung abzurutschen.
Genau das aber wäre die vollkommen falsche Reaktion. Gerade jetzt zeichnen sich Stück für Stück die neuen Spielregeln der nachhaltigen Wirtschaftswelt ab. Gerade jetzt entscheidet sich, wer in dieser neuen Welt den Ton setzt und floriert. Nur wer in den kommenden Jahren vorangeht, wird ernst genommen und als Thought-Leader gehört. Nur wer mit innovativen Produkten und Prozessen überzeugt, gewinnt die Kund:innen von morgen für sich. Nur wer sich mit voller Wucht vor die Welle setzt, behauptet sich langfristig am Markt.
Schon jetzt ist klar, dass es dafür ans Eingemachte geht. Nachhaltiges Wachstum bedeutet eben nicht, bloß schnelle Erfolge für Marketingmaßnahmen zu generieren, es bedeutet ein nachhaltiges Geschäftsmodell aufzubauen – und zwar über die gesamte Lieferkette hinweg. Genauso klar ist, dass solch eine Transformation kein Kinderspiel ist. Sie muss Lösungen entwickeln, die kurzfristige Gewinnerwartungen der Investor:innen auf der einen und die langfristigen Anforderungen einer ESG-Strategie auf der andere Seite miteinander in Einklang bringen.

Mit vier Schritten Richtung nachhaltiger Transformation

Klar ist aber auch, dass die potenziellen Chancen einer erfolgreichen Transformation gewaltig sind – und sie mit einer ambitionierten und strukturierten Herangehensweise gelingen kann:

  1. Orientierung schaffen: Am Anfang steht eine tiefgreifende Analyse. Jedes Unternehmen sollte sich fragen, mit welchen Hebeln es in Sachen Nachhaltigkeit am meisten bewirken kann. Liegen sie in der Produktion? In der Lieferkette? Im Verkauf? Dabei sollte es vor allem um die Wirkung potenzieller Maßnahmen gehen – und nicht darum, welche am „einfachsten“ umzusetzen sind. Dieser Fokus trägt nicht nur am meisten zur Lösung des Problems bei, sondern minimiert auch die Gefahr des Greenwashings, das immer mehr zum Reputationsrisiko für Firmen wird. Diese Analyse gibt den Nordstern vor.
  2. Das Geschäftsmodell hinterfragen: Die Wertschöpfungsketten werden sich nachhaltig verändern. Daraus ergeben sich Risiken und Chancen für das eigene Geschäftsmodell. In manchen Fällen muss es an die neuen Spielregeln adaptiert, in manchen ausgeweitet oder verengt werden. In anderen Fällen steht eine radikalere Anpassung des Geschäftsmodells an.  Fast immer braucht es dafür neue Lösungen und echte Innovation.
  3. Produkte und Serviceangebote neu denken: Was für das Geschäftsmodell als Ganzes gilt, gilt auch für jedes einzelne Produkt: analysieren, optimieren, im Zweifel neu denken. Was einfach klingt, zieht in der Praxis oft eine ganze Kaskade an Konsequenzen nach sich, etwa wenn für eine neue Verpackung der gesamte Abfüllprozess neu aufgesetzt werden muss. Auf genau diese Komplexität sollten Unternehmen vorbereitet sein.
  4. Ökosysteme bauen und nutzen: Komplexe Herausforderungen erfordern Lösungen über den eigenen Tellerrand hinweg. Der Schlüssel ist Kooperation. Nur wer sich vom traditionellen Wettbewerbsgedanken löst, sein Ökosystem kennt, in der eigenen Nachhaltigkeitsstrategie aktiv nutzt und sich vertikal über Lieferketten zusammenschließt, kann Synergieeffekte erzielen und auch zunächst unüberschaubar wirkende Herausforderungen meistern.

Wer mit Menschen aus der Konsumgüterindustrie spricht oder dieses Heft liest, merkt schnell, dass die Branche den richtigen Pfad bereits eingeschlagen hat. Nun aber heißt es, nicht nachlässig zu werden. Gestärkt durch erfolgreiche Projekte gilt es, die Transformation Richtung Nachhaltigkeit jetzt mit absoluter Ernsthaftigkeit voranzutreiben. Nur so können Unternehmen die enormen Opportunitäten nutzen, die der Wandel bietet und sich vor die Welle der Bewegung  setzen – die in Zukunft gleichbedeutend sein wird mit der Pole-Position im Markt. Und nur so können sie ihren Beitrag dazu leisten, dass unsere Erde auch in 100 Jahren noch lebenswert ist.

Die Autoren:

Ruth Melches ist Direktorin in der Handels- & Konsumgüter Practice von PwC Strategy& in Düsseldorf. Ihr Schwerpunkt ist der Bereich Nachhaltigkeit und darin insbesondere die strategische Ausrichtung sowie die Übersetzung von Nachhaltigkeitszielen in organisatorische Strukturen und Governance. Sie begleitete bereits viele ihrer Kunden bei großen ESG-Transformationen und half ihnen die Herausforderungen einer nachhaltigen Geschäftstätigkeit zu meistern.

 

 

Harald Dutzler ist Partner bei PwC Strategy& in Wien und Leiter der Handels- & Konsumgüter Practice in Europa. Mit über 20 Jahren Beratungserfahrung liegt sein Fokus in der Transformation der Konsumgüter-Wertschöpfungsketten, im Lebensmittel- sowie im Non-Food Segment. Das Thema Nachhaltigkeit ist als wesentlicher Treiber dieser Transformation ein Kernbestandteil seiner Beratungstätigkeit für Hersteller und Händler.