Digitale Textilindustrie: Dank cloudbasierter Lösungen Grenzen überwinden

Die Textilindustrie sieht sich wie kaum eine andere Branche mit den Themen Nachhaltigkeit, Kosten und Time-to-Market konfrontiert. Mit Digitalisierungskonzepten, die sich nicht nur auf einzelne technische Aspekte, Bereiche und Unternehmen beschränken, werden aus den Herausforderungen Chancen für alle Stakeholder. Die Digitalisierung ist ein Game Changer der gesamten textilen Wertschöpfungskette.

Die Textilindustrie ist schnelllebig und von komplexen Fertigungsketten geprägt. Denn gerade große Fast-Fashion-Marken verändern in immer kürzeren Zyklen ihre Sortimente. Dabei entsteht die Fertigware für die hochfrequent wechselnden Kollektionen oft in mehr als 30 separaten Prozessschritten. Diese müssen nicht nur optimal aufeinander abgestimmt, sondern zunehmend nachhaltig und nachverfolgbar sein. Denn Kunden verlangen mehr und mehr nach Produkten mit einem nachweislich umweltgerechten Lebenszyklus. Zudem ist der Wettbewerbsdruck in der traditionell globalen Branche enorm.

Das sind die zahlreichen Herausforderungen für Textilunternehmen. Die Digitalisierung hat großes Potenzial, ihnen zu begegnen. Doch was ist die Voraussetzung? Eine Verbindung der im Wertschöpfungsprozess eingesetzten Produktionsmittel, und zwar in einer Cloud. Eine solche Vernetzung macht die Digitalisierung in drei Kernbereichen möglich: Technischer Service, Textilmaschine, Nutzung von Daten.

Care Solutions – minimales Betriebsrisiko, maximale Verfügbarkeit

Die Vernetzung über die Cloud ermöglicht smarte und digitale Kundendienstlösungen. Kunden können damit die Servicestruktur ihrer Textilmaschinen absolut planbar gestalten und das Betriebsrisiko in dem von ihnen gebuchten Umfang auslagern. Externe Partner, z. B. der Maschinenhersteller, übernehmen dabei das Monitoring und die Fehlerbehebung. Fern diagnosen durch Remote-Zugriffe auf die lokalen Maschinen sorgen für ein effizientes, kurzfristiges Reagieren. Proaktive Rückmeldungen der Maschine über Veränderung der Betriebszustände oder anstehende Arbeiten minimieren wartungsbedingte Stillstände. Weitere Angebote aus der Cloud für mehr Kundenservice sind etwa Tools zur Serviceplanung und das Buchen von speziellem Know-how, z. B. von Textilspezialisten. Auch Ersatzteile können mit Online-Services schnell und einfach geordert werden. Die Bestellung erfolgt mit nur wenigen Mausklicks auf einem Webshop-Portal, statt durch mitunter aufwendigem Austausch per E-Mail oder am Telefon.

Smarte Maschine – vereinfachen und beschleunigen

Die Textilmaschine selbst wird durch die Digitalisierung mit smarten Funktionen ausgestattet, die für mehr Flexibilität, Effizienz und Produktqualität sorgen. Zudem ersetzten diese Funktionen weitgehend das bisher notwendige Bediener-Knowhow.

Ein Beispiel ist die Musterung bei der Herstellung von Trikotwaren u. a. für funktionelle Sportswear. Die hierfür eingesetzten hochproduktiven Maschinen erreichen einen Output von bis zu 80 laufenden Metern Fertigware pro Stunde, müssen aber hochflexibel beim Artikelwechsel sein. Denn ein neuer Artikel, der schnell auf den Markt gebracht wird, ist ein echter Wettbewerbsvorteil. Hier bringt die Digitalisierung erhebliche Chancen durch mehr Flexibilität und Schnelligkeit. Textilmaschinen der neuesten Generation sind mit einer sicheren Cloud vernetzt und laden von dort hochpräzise Musterdaten in Sekundenschnelle und für Designs mit nahezu unbegrenzten Längen. Die Daten werden in einer hochleistungsfähigen, modernen Mustersteuerung verarbeitet. Sie sind dabei vom Maschinenhersteller für eine hohe Drehzahl optimiert und technisch ständig up-to-date.

Daten – Ressource für mehr Kundennutzen

Die Cloud-Vernetzung ermöglicht zudem die Nutzung von Maschinen- und Prozessdaten für hocheffiziente Abläufe in der Textilkette. Insbesondere webbasierte Software für die kollaborative Bearbeitung von Projekten zur Designentwicklung ermöglichen kurze Timeto-Market-Prozesse. Durch den Austausch von Daten über die Cloud arbeiten Markenhersteller, Designer, technische Manager und Kunden simultan mit einem gemeinsamen System, ortsunabhängig und in Realtime, ohne Koordinationsaufwand und Informationsverluste an Systemschnittstellen. Das Design wird per Mausklick direkt an die Textilmaschine gesendet.

Mit der Digitalisierung lassen sich zudem die gestiegenen Umweltschutzanforderungen erfüllen. Eine zielgerichtet modifizierte Wertschöpfungskette reduziert Abfall und Kosten. Digitale Produktionsplanungs- und Qualitäts-Monitoring-Systeme machen bereits zu Beginn der textilen Wertschöpfungskette Verbesserungen und zudem ein hochflexibles Agieren in den volatilen Märkten der Textilbranche möglich. Wichtige Grundlage hierfür ist ein Dashb oard, mit dem der Kunde seine Produktion jederzeit von überall im Blick hat. Das smarte Tool nutzt Near-Time-Daten von Maschinen mit CloudVernetzung und informiert über deren Kennzahlen. Der Überblick sorgt auf mobilen Endgeräten oder auf großen Fabrik-Monitoren für höchste Transparenz, erspart zeitaufwändige Routinearbeiten und ermöglicht ein effizientes Management. Entscheidungen können schnell und fundiert getroffen und Prozesse umsichtig geplant werden. Bei Störungen und Engpässen ist für minimale Maschinenstopps und Abfallmengen ein rasches Eingreifen möglich. Auch Qualitätsinspektionssysteme führen zur Vermeidung von Abfall. Die Lösungen nutzen die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz und erkennen Fehler bereits auf der Maschine und nicht erst nach der eigentlichen Stoffherstellung beim Folgeprozess.

Datensicherheit – eine Frage des richtigen Schutzkonzeptes

Cloudlösungen bieten wertvolle Services, neue Anwendungen sowie eine hohe Ausfallsicherheit und damit Verfügbarkeit der Daten. Ein Hemmnis für ihre Nutzung sind heute vor allem Sicherheitsbedenken. Deshalb liegt auch im Textilmaschinenbau bei der Verarbeitung von Daten aus einer Cloud der Fokus auf durchdachten Schutzkonzepten. Kernpunkt dabei ist die Vernetzung der Maschine über einen speziellen Industrierechner. Der Rechner gewährleistet durch kontinuierliche Updates Cyber-Security im höchsten Umfang – auch für ältere Maschinen, für deren Software es häufig keine Virenschutzprogramme mehr gibt. Zudem sind alle außerhalb der Vernetzung möglichen Zugriffe auf Maschinendaten blockiert.

Der Autor: Arno Gärtner verantwortet als CEO und Sprecher der Geschäftsführung die strategische Ausrichtung und weltweiten Geschäfte der KARL MAYER Gruppe. Der Diplom-Ingenieur Maschinenbau (BA) setzt einen klaren Fokus auf die Digitalisierung, um den Kundennutzen zu erhöhen. Seit 2017 verfolgt die KARL MAYER Gruppe eine breit aufgestellte Digitalisierungsstrategie mit Schwerpunkt zum einen auf die eigene Wertschöpfung und zum anderen auf digitale Lösungen, für deren Bereitstellung das SoftwareStartup KM.ON gegründet wurde.