Von der Produktverliebtheit hin zum Kundenfokus

Der steigende Wettbewerbsdruck, insbesondere durch zunehmend aggressive asiatische Marktbegleiter, geht allzu oft einher mit Margenverlusten und sinkender Profitabilität. Um diesem Effekt entgegenzuwirken, sind Design-to-Cost-Maßnahmen und intensive Lieferantenverhandlungen die ersten Reaktionen. Jedoch stellt man bereits nach wenigen Jahren fest, dass die erzielten Effekte wieder abschmelzen und auch die Marktbegleiter ihr Angebot weiter optimieren. Über Systemkompetenz und ein ausgereiftes Applikations-Knowhow sowie über dedizierte Value Propositions kann man einen Aufpreis erzielen. Reichen diese Ansätze aus, oder ist es nur eine Frage der Zeit, bis der asiatische Wettbewerb auch hier aufholen kann? Was ist die wahre Ursache dieses Problems?

Eine über Jahrzehnte gewachsene Ingenieurkultur, gekennzeichnet von einer stark ausgeprägten
Technologieverliebtheit, ist eine der wesentlichen Ursachen. Sie verleitet dazu, Maschinen und Anlagen mit Funktionen auszustatten, die weit über die Kundenanforderung hinausgehen und diesem oftmals keinen wahrgenommenen Mehrwert bieten.

Das Unternehmen muss sich intensiv mit der Fragestellung beschäftigen, wie das Produktportfolio umgestaltet und die notwendigen Kundenanforderungen (und nur diese) erfüllt werden. Die vielzitierte Kundenzentrierung ist keine originäre Geschäftsstrategie, sondern vielmehr das Leitmotiv für eine profitable Gestaltung des Geschäftsmodells. Dieses ist die Grundlage für ein kundenzentriertes und profitables unternehmerisches Tun und Handeln.
Ein reifes Produktportfolio ist meist durch zwei Merkmale charakterisiert:

  • Das Produkt ist technisch ausgereift
  • Disruptive Veränderungen in Technik und Service bleiben aus

Auch ausgiebige Design-to-Cost-Maßnahmen, verbunden mit verbesserten Prozessen und neuester Antriebstechnik, erreichen schnell ihre Grenzen. Selbst die Lieferanten kommen an ihre kommerzielle Schmerzgrenze. In Summe liegt ein „over-engineerd“ Produkt mit einer gewachsenen Komplexität vor, die meist zur Kundenverunsicherung, nicht aber zum Kundennutzen beiträgt. Beides lässt sich im laufenden Produktportfolio nicht mehr effizient heilen und trägt eher zur Wertvernichtung als zur Wertschaffung bei. Ein Neuanfang muss her!

Das Produktportfolio neu ausrichten

Wenn nicht jetzt, wann dann? Spätestens jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, sich intensiven Markt- und Wettbewerbsanalysen zu widmen. Die Zielmärkte sind zu betrachten, und die Applikationsanforderungen zu identifizieren. Als Global Player dürfen auch regionalspezifische Anforderungen nicht in Vergessenheit geraten. Die daraus abgeleiteten Erkenntnisse müssen dann in das neue Produktportfolio übertragen werden. Der Blick in den Rückspiegel, gepaart mit den zuvor getroffenen Analysen, muss dazu führen, Varianten und Komplexität den Markt- und Kundenanforderungen anzupassen. Alles was in der Vergangenheit keinen Ertrag gebracht hat, muss aus dem Portfolio gestrichen werden.

Die Kunst besteht darin, einen funktionalen Modulbaukasten zu gestalten und zu implementieren. Auf dieser Basis müssen markt- und applikationsspezifische Derivate von Baureihen generiert werden können. Mit diesen gilt es dann, den zuvor definierten Zielmarkt mit einer verbesserten Profitabilität zu bedienen. Die daraus resultierende Steigerung der Markanteile, sowohl in den Regionen als auch in den Applikationen, führt zu Skaleneffekten, die einen weiteren Kostenvorteil bieten.

Das Verständnis des Kundenmehrwerts muss dabei umfassend und unvoreingenommen erzeugt werden. Leider kommt es häufig vor, dass gerade der letzte Aspekt vernachlässigt wird. Stattdessen kommen andere Aspekte zum Tragen:

  • welcher Vertriebskollege das beste Durchsetzungsvermögen hat,
  • von welchem Kunden gerade die größte Order kommt,
  • oder mit welchen Kunden wir am besten vernetzt sind.

Das kann zu einer eingetrübten Sicht und somit zu einer falschen Ausrichtung des Portfolios führen.

Ein möglicher Lösungsansatz ist die Customer Journey. Dabei versetzt man sich im Rahmen einer zielgerichteten Marktumfrage – entlang der Prozesskette Anfrage, Verkauf, Inbetriebnahme, Betrieb bis hin zum Service und zum Recycling – in die Rolle des Kunden und beschäftigt sich intensiv mit den unterschiedlichen Anforderungen der handelnden Personen und deren Touchpoints. Hierdurch erhält man eine weit gefächerte Außensicht und kommt den wahren Kundenbedürfnissen und Marktanforderungen deutlich näher. Customer Pain-Points und Customer-Needs werden aus unterschiedlichen Sichtweisen erfasst und bilden die Basis dafür, einen Kundenmehrwert zu erarbeiten.

Eine erlebbare Innovationsarchitektur

Nach erfolgreicher Neuausrichtung des Produktportfolios ist ein weiterer wichtiger Aspekt ein gelebtes Innovationsmanagement. Auch hier dreht sich alles um die Kundenbedürfnisse. Mehrwert für den Kunden zu schaffen und Differenzierungsmerkmale zu erzeugen, sind die Folge einer hohen Innovationskraft. Dabei geht Innovationsmanagement weit über Ansätze wie z.B. das betriebliche Vorschlagswesen hinaus. Die richtigen Methoden zur Generierung und Bewertung von Innovationsansätzen müssen im Unternehmen fest verankert werden. Ziel ist eine erlebbare Innovationsarchitektur, bestehend aus einem Marktplatz für Ideen und Verbesserungsvorschläge. Nachdem die Initiativen durch ein Innovationsgremium positiv bewertet wurden, müssen sie unbürokratisch und schnell implementiert werden. So liefern sie einen wesentlichen Beitrag zur Profitabilitätssteigerung. Ohne ein ausgereiftes Innovationsmodell ist ein Unternehmen mittelfristig nicht mehr zukunfts- und wettbewerbsfähig.

Abseits der Kundenbedürfnisse und der Ausrichtung des Portfolios ist noch ein weiterer  Aspekt zu berücksichtigen. Wenn die implizite Überzeugung in Entwicklung und Vertrieb dazu beiträgt, dass Extrawünsche auf keinen Fall gesondert vergütet werden dürfen, um den Kunden zufriedenzustellen und bloß nicht zu verärgern, dann ist das ein Weg in die falsche Richtung. Selbstkritisch muss sich das Unternehmen dann die Frage stellen, worin dieses Verhalten begründet ist. Ursache ist oftmals hoher Wettbewerbsdruck, oft verbunden mit externen makroökonomischen Einflüssen sowie mangelnde Wettbewerbsfähigkeit durch Defizite in Produktportfolio, Prozessen und Qualität.

Zumindest die Wettbewerbsfähigkeit kann mit dem beschriebenen Ansatz adressiert werden. Über das breite Verständnis der Kundenanforderungen, ein an den Marktanforderungen ausgerichtetes Produktportfolio, gepaart mit Unique Selling Propositions, versetzt man die Verantwortlichen in die Position, selbstbewusst und überzeugend agieren zu können – und Extrawünsche vergütet zu bekommen, ohne einen Kunden „sauer zu fahren“. Wenn man dem Kunden ein Wertversprechen geben kann und der Kunde, aber auch der eigene Mitarbeiter, in das Produkt vertrauen, dann steht einem profitablen Wachstum nichts mehr im Wege.

Der Autor:
Dr. h.c. Georg P. Holzinger ist Vice President Global Application & Product Owner bei der KraussMaffei Group, bei der er seit 2008 tätig ist. Bis Juni 2020 verantwortete er global den Technologiebereich der Spritzgusstechnik. Parallel hat er über 8 Jahre diverse Managementfunktionen in China wahrgenommen und den Standort mit entwickelt. In seiner neuen Funktion beschäftigt er sich seit Juli 2020 intensiv mit den Kunden- und Marktanforderungen und bringt diese gesamtheitlich in das Produktportfolio der KraussMaffei Group ein.