Start in das kognitive Zeitalter

Die Datenberge, die sich in Unternehmen anhäufen, werden immer größer. In der Folge wird sich der Umgang mit Wissen und Entscheidungen grundlegend ändern: Selbstdenkende und selbstagierende Algorithmen werden relevante Informationen identifizieren und Wissen für uns aufbereiteten. Die digitale Transformation lässt sich damit auch als Start ins kognitive Zeitalter bezeichnen.

Die Elektrifizierung Anfang des 20. Jahrhunderts veränderte die Welt grundlegend. Ein solcher einschneidender Wandel findet aktuell wieder statt: die digitale Transformation. Ihr Ziel ist es, alle Bereiche des Arbeits- und Privatlebens mit selbstdenkenden und -agierenden Algorithmen vorhersehbar zu machen. Diese „Kognifizierung“ stellt Gesellschaft, Unternehmen und Individuen vor große Herausforderungen, bietet aber parallel immense Chancen. So wie sich Unternehmer vor 100 Jahren mit dem Einsatz von Elektrizität zur Verbesserung von Produkten und Automatisierung von Arbeitsschritten beschäftigten, so sollten wir uns heute die Frage stellen, welche Produkte oder Services mit kognitiven Fähigkeiten ausgestattet werden können.

Datenmassen – vom Problem zum Vorteil

Heute sehen 47 Prozent aller Unternehmen das Datenwachstum als größte Herausforderung an. Bis zu 30 Prozent der Arbeitszeit gehen verloren, weil Mitarbeiter vorhandenes Wissen nicht finden und daher erneut erstellen. Das Marktforschungsunternehmen IDC prognostiziert bis 2025 ein Anwachsen des Datenbergs auf 175 Zetabytes. Gespeichert auf BlueRays ergibt das einen Stapel, der 23 Mal bis zum Mond reicht. Ein effektiver Umgang mit diesen Informationsmengen lässt sich nicht durch neue manuelle Prozesse erreichen, sondern einzig durch „Kognifizierung“ – wodurch die Datenmassen gleichzeitig zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil werden können.

Wenn wir Ray Kurzweil, einem der bedeutensten Erfinder und Vordenker unserer Zeit, Glauben schenken, dann werden im Jahr 2030 Computer ohne menschliche Hilfe lernen sowie neues Wissen schaffen – und einige am Internet angeschlossene Computer buchstäblich jede öffentliche Information, wissenschaftliche Entdeckung, Bücher und Filme sowie jede öffentliche Aussage von Menschen kennen.

Der Umgang mit Wissen und Entscheidungen wird sich in den nächsten zehn Jahren grundlegend ändern. Verantwortlich dafür werden kognitive Knowledge Discovery Plattformen sein: Basierend auf dem, was eine Person weiß, interessiert, tut und getan hat, werden diese smarten Plattformen automatisch relevante Informationen identifizieren und Wissen für uns aufbereiteten.

Digitale Intelligenzen, die unsere Interessen, den Grad unseres Fachwissens und unser professionelles Netzwerk kennen und all dies kontinuierlich mit öffentlich zugänglichem, unternehmensinternem und bezahltem Wissen vergleichen, werden uns helfen, bessere Fragen zu stellen, Zusammenhänge schneller zu verstehen und nachvollziehbarere Entscheidungen zu treffen.

Augmented Reality Anwendungen werden es Mitarbeitern ermöglichen, jederzeit mit Informationen zu interagieren und unsere analoge Welt mit der digitalen Welt so verschmelzen, dass die den Knowledge-Plattformen zugrundeliegenden Daten maßgeblich über Unternehmenserfolg und -misserfolg entscheiden werden.

Messen, analysieren, verstehen und vorhersagen

Folglich müssen Unternehmen schon heute Maßnahmen ergreifen, um zukünftig alle ihre Daten messen, analysieren und verstehen zu können. Das gilt für Daten aus bestehenden Datenquellen, aber vor allem auch für Daten, die heute nicht oder nur umständlich erhoben werden können.

Diese Daten sind die Grundlage dafür, dass Algorithmen neue Muster aufdecken und unsichtbares Wissen extrahieren können. Ein Beispiel hierfür ist ein von Google entwickelter Algorithmus, der auf die Identifikation bestimmer Augenerkrankungen trainiert wurde. Dies funktioniert über Fotos der Rückseite des Auges, welche durch die Pupille aufgenommen werden (retinale Fundusbilder). Seit mehr als 100 Jahren werden diese Bilder zur Erkennung von Augenerkrankungen verwendet. Deep-Learning-Modelle können diese Netzhautbilder nun auch verwenden, um Alter, Geschlecht, Raucherstatus und den systolischen Blutdruck eines Patienten zu erkennen. Sie können kardiovaskuläre Risikofaktoren berechnen und das Risiko von Herzproblemen für die kommenden fünf Jahren vorhersagen. Dieses Wissen ist in den Bildern vorhanden, wird aber von Ärzten nicht erkannt. Es stellt sich die Frage: Welches Wissen sehen wir nicht, obwohl es sich in unseren Daten befindet?

Die Elektrifizierung Anfang des 20. Jahrhunderts führte innerhalb von nur wenigen Jahrzehnten zur Computerisierung und dem Eintritt in das Informationszeitalter. Wohin uns die Kognifizierung führen wird, kann man nur vermuten. Aber sicher ist, dass gut aufbereitete und zugängliche Daten die Grundlage sein werden.

Der Autor: Konrad Gulla ist  Gründer und Chief  Visionary von Keeeb Inc. Das 2011 gegründete Hamburger Startup hilft Unternehmen dabei, das in ihrer Organisation vorhandene Wissen besser zu nutzen – auch durch den Einsatz künstlicher Intelligenz.