RPA – ein wichtiger Baustein in der Digitalisierungsstrategie

Wie das Beispiel Hapag-Lloyd zeigt, kann sich der Einsatz von RPA auch bei bereits guter Prozessunterstützung mit einem hohen Automatisierungsgrad strategisch lohnen. So k önnen Unternehmen flexibel auf unerwartete Skalierungsanforderungen reagieren und Engpässe vermeiden. Dabei sollte RPA als ein weiterer Baustein verstanden und in bestehende Automatisierungsinitiativen eingebettet werden. Eine klare Gesamtstrategie ist dabei wichtiger als die Automatisierung einzelner, scheinbar einfach umzusetzender Prozesse.

Skalierungsfähig in der Krise

Die Herausforderungen durch die Covid-19-Pandemie sind je nach Industrie unterschiedlich gelagert. Während viele Branchen mit dramatischen Umsatz- und Nachfrageeinbußen zu kämpfen haben, explodiert der weltweite Bedarf an Warenverkehr in der Containerschifffahrt seit Mitte 2020: 20 Prozent der Nachfrage haben sich vom ersten ins zweite Halbjahr verschoben, ein Trend, den trotz Pandemie so niemand vorhergesehen hat und der bisher auch in 2021 anhält.

Neben den enormen operativen Herausforderungen – es stehen vielerorts zu wenig Container zur Verfügung und Hafenterminals werden zu kritischen Engpässen – gilt es die sprunghaft angestiegene Transportmenge administrativ abzuwickeln: Planung von Fahrplänen und Stauraum, Buchungsannahme, Erstellung von Frachtdokumentation werden bei Hapag-Lloyd weltweit durch einheitliche Geschäftsprozesse abgebildet und durch das maßgeschneiderte IT-System FIS (Freight Information System) unterstützt. Ein bereits hoher Grad an Automatisierung hat es bislang ermöglicht, die Krise erfolgreich zu bewältigen.

RPA als ein Baustein

Automatisierung durch standardisierte Lösungen hat dort ihre Grenzen, wo lokale Gegebenheiten zu berücksichtigen sind oder sich ändernde Anforderungen kurzfristiger umgesetzt werden müssen, als es selbst mit einem agil weiterentwickelten Kernsystem möglich ist. RPA verspricht eine unschlagbare Time-to-Market bei minimaler Notwendigkeit zur Systemintegration.

Auf der anderen Seite gilt es, unabgestimmte Entwicklungen zu vermeiden und eine einheitliche Governance und Qualität sicherzustellen. Spätestens bei einer Skalierung von RPA-Lösungen können sonst die operative Stabilität der Systeme und die Einhaltung von ComplianceAnforderungen zur Achillesferse werden. Und RPA löst alleine nicht alles: Das volle Potential von Automatisierung lässt sich nur ausschöpfen durch eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Geschäftsprozesse und der sie tragenden IT-Kernsysteme im Zusammenspiel mit komplementären Technologien wie RPA – auch kombiniert mit z.B. künstlicher Intelligenz.

Center of Excellence mit Satelliten

Schon vor der Coronakrise hatte Hapag-Lloyd die Notwendigkeit von weiterer Automatisierung als Teil seiner Strategy 2023 erkannt und auf RPA als einen Baustein gesetzt. So begann Anfang 2020 der Aufbau eines Center of Excellence (CoE) für RPA im neu gegründeten IT Knowledge Center in Gdańsk (Polen), wo inzwischen rund 20 Analysten und Entwickler sowohl selbst RPA-Lösungen entwickeln, als auch für eine zentrale Steuerung mehrerer „Satelliten-Einheiten“ sorgen, in denen lokale RPA-Spezialisten direkt in Business-Einheiten eingebettet sind.

„Start local, go global“ ist das Motto, mit dem das CoE eine schnelle Entwicklung anhand lokaler Bedürfnisse einerseits und das Ausschöpfen des weltweiten Potentials der Lösungen andererseits sicherstellt. Die richtige Balance zwischen lokaler Autonomie und zentraler Qualitätssicherung ist nicht einfach zu finden: Regelmäßiger und enger Austausch in der RPA Community spielt eine Schlüsselrolle. Vertrauen aufzubauen ist enorm wichtig, gerade wenn die Beteiligten aus unterschiedlichen Kulturkreisen stammen.

Der richtige Hebel

Egal wie hoch der Automatisierungsgrad bereits ist, ungeliebte und zeitfressende Tätigkeiten findet man überall. Bei der Auswahl der geeigneten Kandidaten für RPA gilt es klug vorzugehen. Naheliegend ist die Entscheidung nach individuellem Business Case: Wie viele Arbeitsstunden spart ein Bot im Vergleich zum notwendigen Entwicklungsaufwand? Aber auch nicht-quantitative Faktoren gilt es zu berücksichtigen: Eine verbesserte Daten qualität oder schnellere Antwortzeiten für den Kunden können viel wertvoller sein als allein die gesparte Arbeitszeit. Hier helfen klare Definitionen und ein einheitlicher Priorisierungsprozess. Alle Bot-Ideen werden in einer zentralen Pipeline bewertet, die für alle Beteiligten transparent einsehbar ist.

Am wichtigsten ist allerdings die klare Ausrichtung an den strategischen Automatisierungserfordernissen des Unternehmens. Ein Beispiel: Hapag-Lloyd gilt als einer der zuverlässigsten Spezialisten für die Verschiffung von Gefahrgut. Sicherheit steht bei diesem Thema an erster Stelle und eine eigene Gefahrgutabteilung und ein globales Netzwerk regionaler Experten sorgen für eine reibungslose und effiziente Abwicklung. Die auch in diesem Bereich stark ansteigende Nachfrage darf auf keinen Fall zu Lasten der Qualität oder gar der Sicherheit gehen. Automatisierung ist gerade hier von strategischer Bedeutung, um mit den Marktanforderungen skalieren zu können. Demzufolge werden RPA-Lösungen mit entsprechender Priorität und in engster Abstimmung mit den Experten aus dem Fachbereich entwickelt.

Drei Zutaten

Bei der erfolgreichen Einführung von RPA bei Hapag-Lloyd kam es hauptsächlich auf drei Dinge an: Zum einen wurde noch vor Aufbau des CoE eine klare Governance-Struktur erstellt, welche die Verantwortlichkeiten zwischen dem CoE und den Satelliteneinheiten sowie die Prozesse für die Priorisierung und Entwicklung der Bots klar definiert. Zum anderen wurden die für den Personalaufbau des CoE notwendigen Mittel investiert, so dass eine schlagkräftige Einheit geschaffen werden konnte, die den Fachbereichen als ernstzunehmender Partner gegenübertreten kann.

Und schließlich wurde viel Wert auf eine gute Beteiligung gelegt: der geschäftlichen Fachabteilungen ebenso wie der anderen IT-Einheiten, der betroffenen Mitarbeiter ebenso wie des Managements. Gerade die Wichtigkeit der Einbindung aller Beteiligter kann kaum überschätzt werden.

Der Autor: Dr. Dirk Reiß leitet als Senior Director bei HapagLloyd den Bereich IT – Enterprise Architecture, Strategy & Complementary Technologies, zu dem auch das Center of Excellence for RPA gehört. Hapag-Lloyd ist eine der weltweit führenden Linienreedereien und hat mit seiner Strategy 2023 das Ziel „Number one for quality“ definiert, bei dem Digitalisierung und Automatisierung eine Schlüsselrolle spielen.