Einkauf 4.0 als Motor der Lieferantenzufriedenheit: Renaissance der Prozessverbesserung

Durch operative Prozessverbesserungen senkt der Einkauf seine Kosten und erhöht gleichzeitig die Lieferantenzufriedenheit. Zufriedene Lieferanten, ihrerseits, sind der Schlüssel für bessere Preise und bevorzugte Behandlung. Eine Reihe von I4.0 Technologien stehen zur Verfügung, mit denen die Zufriedenheit durch Prozessverbesserung gesteigert werden kann.

Lange wurde nicht danach gefragt, was Lieferanten von ihren Kunden hielten – schließlich wollten sie ja etwas verkaufen und würden sich entsprechend maximal bemühen. Andererseits stellt sich die Frage, wie Lieferanten auf ihre Kunden reagieren. Z. B. wenn sie zwei Angebote machen sollen: Bei dem einen Kunden ist aus der Vergangenheit reichlich bekannt, dass es immer wieder zu Ärger kommt. Der Kunde erfordert ständig Aufmerksamkeit und ist unangenehm und teuer zu bedienen. Der andere Kunde hingegen ist bekannt dafür, dass es klappt. Das Geschäft läuft reibungslos, korrekt und vielleicht sogar schon fast freundschaftlich. Wer von beiden bekommt als erster ein Angebot? Und welcher muss „Schmerzensgeld“ bezahlen, dafür, dass man ihn bei knappen Kapazitäten überhaupt beliefert?

Der positive Einfluss von Lieferantenzufriedenheit auf Preis, Lieferleistung und Innovation ist empirisch gut belegt

In den letzten gut zehn Jahren hat es eine Reihe wissenschaftlicher Untersuchungen gegeben, die geprüft haben, welche Vorteile der „preferred customer“ genießt. Bessere Preise und bessere Lieferungen durch zufriedene Lieferanten wurden immer wieder bestätigt. Hinzu kommen noch fallspezifische Zusatzleistungen und Zugang zu Innovationen.

Es stellt sich somit die Frage, wie man als einkaufendes Unternehmen hohe Lieferantenzufriedenheit erlangt.

Inzwischen lässt sich Lieferantenzufriedenheit gut messen. Wenn ein vertrauensvoller anonymisierender Intermediär, wie eine Universität, zwischengeschaltet ist, geben die Lieferanten Auskunft. Wir haben inzwischen gut fünfzehn solcher Lieferantenzufriedenheitsmessungen durch geführt und dabei etwa 20 Einflussfaktoren entdeckt. Vier stechen immer wieder heraus: das erwartete Wachstum des Kunden (bei einem wachsenden Kunden braucht der Verkäufer nur im Geschäft zu bleiben und erreicht automatisch bessere Umsatzzahlen), die Profitabilität (eine Art „Aldi-Effekt“: effiziente Kunden können bessere Preise bekommen und gleichzeitig für den Lieferanten geringere Kosten verursachen und somit lukrativer sein), das Beziehungsverhalten (Kunden, die sich opportunistisch verhalten, profitieren in aller Regel nicht dauerhaft davon) und die operative Leistungsfähigkeit des Kunden.

Die operative Leistungsfähigkeit des Käufers ist ein wichtiges Zufriedenheitskriterium für Lieferanten

Die Qualität der Unternehmensprozesse müssen für den Lieferanten einfach, transparent und unkompliziert sein. Dies hat einen unmittelbar positiven Einfluss auf die Zufriedenheit des Lieferanten mit dem solchermaßen ausgestatteten Kunden, wie die statistische Analyse einer Vielzahl von Bewertungen zeigt. Interessant ist, dass bereits die Wahrnehmung von modernen state-of-the-art-Systemen zur Zufriedenheit beiträgt.

Aus dieser empirischen Beobachtung leitet sich unmittelbar ab, dass die Investition in Prozessautomatisierung und digitale Unterstützung neben den originären, aber oft schwer zu quantifizierenden, produktivitätserhöhenden und fehlervermeidenden Effekten auch den indirekten Effekt hat, zur Lieferantenzufriedenheit beizutragen. Unternehmen, die ihre Prozesse weniger stark digitalisieren, geraten im Vergleich zu ihren moderneren Wettbewerbern auf dem Beschaffungsmarkt in einen Wettbewerbsnachteil.

Vorschau und Planung als stärkster Treiber der wahrgenommen operativen Leistung

Fächert man den Sammelbegriff „operative Leistungsfähigkeit“ weiter in seine konstituierenden Bestandteile auf, so zeigt sich, dass der Themenkomplex „Forecast und Planung“ bei Industrieunternehmen die stärkste Wirkung zeigt (neben dem Zahlungs- und in geringem Ausmaß dem Bestellprozess).

Es geht bei der Planung um zwei Aspekte: zum einen um die Genauigkeit der Planung und zum anderen um deren Zugänglichkeit. Kurzfristige „rush orders“ sind Gift für die Lieferantenzufriedenheit. Dies ist nicht nur schädlich für die unmittelbare Beziehung der beteiligten Mitarbeiter, sondern auch betriebswirtschaftlich erklärbar. Es entstehen Fluktuationskosten. Kapazität muss beim Lieferanten entweder vorgehalten und dann nicht voll genutzt werden (Schlupf). Oder es müssen zusätzliche Kapazitäten, etwa in Form von Leiharbeitskräften oder Unterauftragsvergabe, geschaffen werden. Beides kostet und belastet das Verhältnis zwischen chaotischem Kunden und seinem Lieferanten.

Genau hier können I4.0 Anwendungen Abhilfe schaffen und die Planungssicherheit erhöhen. Dies beginnt mit einer verbesserten Bedarfserfassung. Die fortgeschrittene Sensorik erlaubt es, auch physische Systeme in den digitalen Prozess zu integrieren und fehleranfällige menschliche Bedarfserfassung zu reduzieren. I4.0 Technologien wie „smart bin“ (sensorbasierte Bedarfserfassung von C-Teilen in Produktion aber auch Verwaltung) oder Verbrauchssensoren (beispielsweise in der Chemieindustrie, der Lebensmittelproduktion oder etwa bei prozesskostenteuren Verbrauchsmaterialien wie Handseife im Sanitärbereich) ermöglichen die automatische Bedarfserfassung und im nächsten Schritt Bestellauslösung. Gleichzeitig bietet die verbesserte Datenlage die Chance, viel genauere Bedarfsmuster auch bei indirekten Materialien zu erkennen. In einem zweiten Schritt können diese (Massen-)Daten („big data“) zur verbesserten Planung und Prognose genutzt werden. Erste Versuche, dabei künstliche Intelligenz einzusetzen, finden bereits statt.

Insgesamt zeigt sich, dass I4.0 Anwendungen die technischen Voraussetzungen schaffen, die zu einer „Renaissance der Prozessoptimierung“ führen. Diese erfährt ihre Bedeutung aber nicht nur, wie klassischerweise immer argumentiert, aus unmittelbarer Prozesskostenreduzierung, sondern auch daraus, dass verlässliche Prozesse des Kunden einen positiven Einfluss auf die Zufriedenheit seiner Lieferanten haben.

Der Autor: Prof. Dr. Holger Schiele, nach zehn Jahren Erfahrung in Industrie und Beratung,  ist Prof. Schiele nun Inhaber des Lehrstuhls  für Technologiemanagement – Innovation in Einkauf, Produktion und Logistik an der  Universität Twente in Enschede, die als eine von wenigen Universitäten einen Mastertrack „Einkauf“ anbietet. Forschungsschwerpunkte: Industrie 4.0 im Einkauf, Lieferantenzufriedenheit, Innovation von und mit Lieferanten.