Digitalisierung der Supply Chain: Effizienzsteigerung industrieller Lieferketten

Wettbewerb findet zunehmend nicht mehr zwischen einzelnen Unternehmen, sondern zwischen Lieferketten zur Befriedigung der Bedürfnisse des Endkunden statt. Der große Fortschritt im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie bietet neue Potentiale zur Verbesserung der Zusammenarbeit in den Lieferketten.

Hoch entwickelte Volkswirtschaften lassen sich durch zunehmende Arbeitsteilung zwischen Unternehmen charakterisieren. Um in einer sich schnell verändernden Umwelt wettbewerbsfähig bleiben zu können, konzentrieren sich die Unternehmen auf ihre Kernkompetenzen. Durch das damit verbundene Outsourcing werden die Fixkosten reduziert und die Kernkompetenzen anderer Unternehmen genutzt. Die Folgen sind steigende Komplexität der Lieferketten (Supply Chains) und die Notwendigkeit zu mehr Kooperation der arbeitsteilig zusammenarbeitenden Unternehmen.

Das Industrieunternehmen des Maschinen- und Anlagenbaus muss mit einer Vielzahl von Akteuren in seiner Lieferkette – den Lieferanten, Logistikdienstleistern, Finanzdienstleistern, Immobiliendienstleistern, Informationsdienstleistern und staatlichen Institutionen (z. B. Zoll) – zusammenarbeiten, um seinen Kunden zufriedenzustellen. Die Herausforderung ist eine effiziente Gestaltung der hierzu notwendigen Güter-, Informations-, Finanzmittel- und Rechteflüsse.

Die Logistik hat hierzu eine Vielzahl von Lösungen entwickelt, beispielsweise „Just-in-time“-Anlieferung der Güter, „automatisierte Auftragsabwicklung“, „Reverse Factoring“ zur Ausnutzung der besseren finanziellen Konditionen des Abnehmers durch den Lieferanten und „Vendor Managed Inventory“ oder „nutzenbasierte Betriebsmodelle“ bei geänderten Eigentumsrechten. Der technologische Fortschritt, basierend auf steigender Rechenkapazität und schnellerem Informationsaustausch, bietet hierzu heute neue Potentiale zur Effizienzsteigerung. Die Digitalisierung führt im Kern zu datenbasierten Lieferketten.

Digitale Transformation

Die digitale Transformation der Supply Chain ermöglicht eine bessere Beherrschung ihrer steigenden Komplexität. Erreicht werden kann dies durch eine durchgehende Transparenz aller Flüsse in der Lieferkette auf der Basis von Echtzeitdaten. Alle Akteure in der Lieferkette sind frühzeitig über Ereignisse („Events“) informiert und können ihre Prozesse anpassen. Dieser Aspekt der Digitalisierung wird als „Connectivity“ charakterisiert. Wenn durch Digitalisierung viele Daten generiert werden, so stellt sich die Frage, wie man sie nutzen kann. Dieser Aspekt wird als „Data Science“ charakterisiert. Durch „Künstliche Intelligenz“ lassen sich große Datenmengen analysieren („Data Analytics“), was z. B. zu besseren Prognosen führt. Selbst lernende Geräte („Machine Learning“), z. B. sich selbst optimierende Transportmittel, führen zur Reduktion von Leerfahrten.

Die Digitalisierung der Supply Chain umfasst eine Vielzahl von Digitalisierungstechnologien. Zu den am häufigsten in der Praxis diskutierten gehören: Cloud Computing, Big Data Analytics, Roboter und Automatisierung, Internet of Things, Sensor- und Ident-Technologie, Künstliche Intelligenz, Virtual Reality, Block Chain, Digitaler Zwilling und 3D-Druck.

Allerdings gilt für den erfolgreichen Einsatz solcher Digitalisierungstechnologien einerseits der alte Grundsatz „Garbage in – Garbage out“. Wenn die Datenqualität nicht gegeben ist, dann können alle darauf aufbauenden Entscheidungen falsch sein! Datensilos behindern die Digitalisierung: Daten werden in verschiedenen Systemen gehalten, die nicht miteinander kompatibel sind. Die unternehmensübergreifende Digitalisierung der Lieferkette bedingt auch Kooperationsfähigkeit (Informationen können in gewünschter Qualität ausgetauscht werden) und Kooperationsbereitschaft (auf der Basis von Vertrauen will man die Informationen austauschen) der beteiligten Unternehmen. Zudem spielt dabei auch die Gewährleistung der Datensicherheit eine wesentliche Rolle.

Digitalisierungsprojekte

Für den Maschinen- und Anlagenbau bietet die größere Transparenz und Konnektivität der Lieferkette Effizienzsteigerungspotentiale. Beispielsweise können Kapazitätsengpässe bei den Lieferanten oder Verzögerungen in der Zollabwicklung rechtzeitig erkannt und deren Auswirkungen auf die Fertigstellung einer Maschine oder Anlage beurteilt werden. Eine ganz andere Frage stellt sich allerdings, ob nicht durch 3D-Druck Bauteile vor Ort hergestellt werden können, anstatt in der Lieferkette vorgefertigt zu werden.

Ein Beispiel für die Digitalisierung der Lieferkette bietet die Bosch Connected Industry mit ihrem Forschungsprojekt „SaSCh – Digitale Services zur Gestaltung agiler Supply Chains“. Es beinhaltet die lückenlose Kontrolle der Güter in multinationalen Lieferketten. Sensoren auf Packstückebene (Behälterebene) senden in Echtzeit zustandsrelevante Daten an ein Gateway. Zusammen mit Positionsdaten werden sie in die Cloud geschickt und sind so unternehmensübergreifend nutzbar. Das Packstück meldet sich autonom an definierten Punkten der Lieferkette und die Daten werden automatisiert übertragen.

Ein zweites Beispiel ist das Forschungsprojekt „Connected Supply Chain“ der BMW-Group. In einem globalen Lieferantennetzwerk mit verschiedenen Logistikdienstleistern sorgt ein auf der Künstlichen Intelligenz basiertes Programm für vollständige Transparenz in der Lieferkette. Die Positionsdaten eines Guts werden alle 15 Minuten aktualisiert, um mögliche Lieferverzögerungen rechtzeitig zu erkennen.

Ein drittes Beispiel ist die Einrichtung eines digitalen Zwillings eines Lagerhauses in Singapur durch die DHL Solution. Ein digitaler Zwilling („Digital Twin“) ermöglicht als virtuelles Abbild eines physischen Objektes die Kontrolle und Simulation des Verhaltens dieses Objektes. Denn es bildet den Zustand und die Veränderungen der realen Welt ständig aktualisiert ab. Das bietet die Basis zur Verbesserung der Lager- und Transportaktivitäten im Lagerhaus.

Der Autor: Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hans-Christian Pfohl,  Technische Universität Darmstadt und Tongji Universität Shanghai. Er leitet die Gruppe „Supply Chain­ und Netzwerkmanagement“ an der TU Darmstadt und ist verantwortlich für den Bosch­Stiftungslehrstuhl Global Supply Chain Management am Chinesisch­-Deutschen Hochschulkolleg der Tongji Universität in Shanghai. Seine Bücher „Logistiksysteme“ und „Logistikmanagement“ sind Standardwerke der Logistikliteratur.