Die zentrale Rolle der Produktkonfiguration für den Unternehmenserfolg

Die deutsche Industrie hat sich in den letzten Jahrzehnten vermehrt auf Innovationsführerschaft und individualisierte Kundenlösungen konzentriert – als eine differenzierende Strategie, die auf den Weltmärkten Erfolg verspricht. Im Zuge dieser Entwicklung hat die individuelle Konfiguration von Produkten für den Unternehmenserfolg enorm an  Bedeutung  gewonnen.

Eine sinnvolle Strukturierung des Produktbaukastens, dessen Ausrichtung auf die Anforderungen der Applikation des Kunden, die Integration von Softwarekomponenten und damit die individuelle Konfiguration des Produktes sind immer mehr zu kritischen Erfolgsfaktoren geworden.

Das bestätigt auch die Unternehmensstudie GEXSO (Global Excellence in Supply Chain Operations, vergl. www.GEXSO.com), die BearingPoint gemeinsam mit der Technischen Universität Darmstadt und der Fachzeitschrift Logistik Heute durchgeführt und 2018 veröffentlicht hat. 80 Prozent der Industrieunternehmen, so ein Ergebnis der Studie, sehen Produktkonfiguration zunehmend als Erfolgsfaktor für ihr Industriegeschäft an. Im Durchschnitt sind 58 Prozent der Unternehmensprodukte konfigurierbar. Weitere 25 Prozent werden kundenspezifisch projektiert und maßgeschneidert auf den Kundenbedarf angepasst, lediglich 17 Prozent sind Standardprodukte.

Auch vor dem Hintergrund steigender Softwareanteile in Produkten gewinnt die Produktkonfiguration für die Produktstrategie und das Produktmanagement an Bedeutung. Ein Grund dafür liegt in der Notwendigkeit, Software­ und physische Produktreleases zu koordinieren sowie Software-­Optionen kundenindividuell zu aktivieren.

Produktkonfiguration als Globalisierungskompetenz

In der GEXSO­-Initiative fragte BearingPoint regelmäßig nach den Erwartungen führender Industrieunternehmen hinsichtlich des Internationalisierungsgrads ihres Geschäfts. Dabei
ergab sich über alle Untersuchungen hinweg weitestgehend ein Konsens: Die Globalisierung sowie die Verteilung von Kunden und Supply­ Chain-­Ressourcen wird sich in den nächsten Jahren fortsetzen, insbesondere in Ostasien, zunehmend auch in Nordamerika und in T eilen Südamerikas. Die Studienteilnehmer gaben dabei an, dass Produktionsstandorte häufig im globalen Produktionsverbund fertigen und viele Lieferbeziehungen zwischen den einzelnen Produktionswerken bestehen.

Eine solche globale Integration bedeutet auch eine gestiegene Prozesskomplexität für die Produktkonfiguration dieser Industrieunternehmen. Diese gilt es in den Griff zu bekommen, da ansonsten ein variantenreiches Geschäft heute gar nicht mehr international abgewickelt werden kann.

In der jüngsten GEXSO­-Studie gibt zudem etwa die Hälfte der Unternehmen an, eine Zielsetzung ihrer Produktkonfiguration sei es, die Erfüllung von Kundenwünschen zu gewährleisten, die aus länderspezifischen Anforderungen resultieren. Dies können zum einen unterschiedliche Marktanforderungen sein, aber auch lokale Gesetze und Normen, die Produktanpassungen nach sich ziehen. Somit resultieren auch aus der Marktseite gestiegene Anforderungen an das Industrieproduktgeschäft. Produktkonfiguration hat sich für Industrieunternehmen zu einer Globalisierungskompetenz entwickelt!

Geisel des eigenen Produktbaukastens

Die Einführung von Produktkonfiguration und die einhergehenden Änderungsprozesse stellen für die meisten Unternehmen eine enorme Hürde dar. Einerseits muss sie als „Enabler“ für eine globale Industriestrategie kompetent umgesetzt sein. Andererseits sollte sie aber auch ein Teil ebenjener Strategie sein, um ihrer abteilungsübergreifenden Bedeutung und Marktrelevanz gerecht zu werden.

Wenn man allerdings die heutige Produktkonfiguration von Industrieunternehmen analysiert, so fällt auf, dass sich diese in vielen Fällen eher an den technischen Machbarkeiten des Produktes oder der Produktplattform orientiert und nicht so sehr an einer klar umrissenen Produkt­, Vertriebs­ und Marktstrategie. Die Idee einer „gewollten Varianz“ weicht somit in vielen Fällen einer „willkürlichen Varianz“ mit entsprechenden negativen Effekten wie erhöhten Produktkosten und Qualitätsmängeln durch mehr Prozesskomplexität.

Mathematisch skaliert ein Produktmodell bereits mit wenigen Parametern ins schier Endlose. Ein Unternehmen ist schnell Geisel eines selbst auferlegten Produktbaukastens, wenn es sich nur nach den technischen Möglichkeiten richtet. Speziell im Vertrieb muss eine Produktkonfiguration dem Kunden auch noch vermittelbar sein. Ferner lassen sich oft klare Business Cases rechnen, die die Varianz im Produkt reduzieren, ohne dessen Nutzen signifikant einzuschränken bzw. um eindeutige „Sweet Spots“ in der Produktpositionierung zu erreichen.

In der GEXSO­-Studie zur Produktkonfiguration gibt immerhin circa ein Drittel der Unternehmen an, ihr Produktmodell vorwiegend an technischen Aspekten zu orientieren. Weniger als ein Fünftel richtet dieses vorwiegend vertrieblich aus. Gleichzeitig konfigurieren über ein Drittel der Unternehmen ihre Produkte mit über 100 Parametern, teilweise mit über 500 oder sogar mehr als 2.000 Parametern.

Offenbar sind viele Unternehmen in die Komplexitätsfalle gelaufen sind und haben die Integration einer marktorientierten Vertriebskonfiguration als Teil einer nachhaltigen Verkaufsstrategie nachranging behandelt.

Opportunistische Produktkonfiguration

Anstatt die Produktkonfiguration des eigenen Unternehmens an strategischen Zielsetzungen zu orientieren, stehen oft kurzfristige und operative Ziele im Vordergrund. Dazu gehören die Fehlerreduktion in der Auftragsabwicklung, die Verkürzung der Durchlaufzeiten und die Reduktion der Angebotszeit und ­-kosten.

In Bezug auf strategische Ziele hat die GEXSO-­Studie beispielsweise ermittelt, dass die Reduzierung von Kundensonderwünschen durch Standardisierung oder auch die Erhöhung der Angebotserfolgsquote die am wenigsten verfolgten Ziele sind. Auch Möglichkeiten zur Preisdiskriminierung wenig nachgefragter Varianten und somit die Unterstützung einer klaren Marktpositionierung werden meist nicht verfolgt.

Zustimmungsgrad zur Aussage “Die Produktkonfiguration ist kritisch für den Unternehmenserfolg”

Produktkonfiguration hat in vielen Unternehmen daher einen opportunistischen Charakter und ist meist auf die Lösung kurzfristiger operativer Probleme fokussiert, ohne die mittelfristigen, strategischen Potenziale zu erschließen.

Zwei Leitbilder für die Produktkonfiguration

BearingPoint hat, abgeleitet aus den Umfrageergebnissen, zwei Leitbilder entwickelt, um den verschiedenen Anforderungen der Produktkonfiguration gerecht zu werden:

  • Die Variantenprofis beschreiben eine Gruppe von Unternehmen, die Produktkonfiguration mit hoher Professionalität umgesetzt haben und Leitbildcharakter aufgrund des hohen erreichten Reifegrads in den Prozessen besitzen. Variantenprofis beantworten die Wie-­Frage – wie konfiguriert werden soll.
  • Die Vertriebsprofis haben ihre Produktkonfiguration am Markt und einer Marktstrategie ausgerichtet. Sie beantworten die Was­-Frage –  was konfiguriert werden soll.

Anteile der verschiedenen Produktarten in einem durchschnittlichen Unternehmen

Variantenprofis – “wie” konfiguriert werden soll

Variantenprofis sind aufgrund eines sehr hohen Anteils konfigurierbarer Produkte (typischerweise größer 85 Prozent) und einer vergleichsweise hohen Menge ausgelieferter Neumaschinen gezwungen, einen hohen Reifegrad in ihrer Produktkonfiguration zu entwickeln.
So haben sie beispielsweise ein globales Produktmodell und einen modularen Baukasten, vereinheitlichte Produkt­ und Materialnummern und einheitliche Änderungsprozesse geschaffen. Konfiguratoren werden durchgängig genutzt, integrieren Vertriebs­ und Supply­ Chain-­Prozesse und erreichen in hohem Maße ihre meist operativen Ziele. Variantenprofis setzen einen klaren Schwerpunkt bei der erfolgreichen Umsetzung in der Errichtung globaler Standards zur Produkt­ und Prozesskonzeption für die Produktkonfiguration.

Vertriebsprofis – “was” konfiguriert werden soll

Vertriebsprofis richten ihre Produktkonfiguration sehr stark am Markt aus. Um dies zu unterstützen, zentralisieren sie die Verantwortung für das Produktmodell im Produktmanagement. Hier entstehen in vielen Unternehmen die Produkt­ und Marktstrategie eines Produktes für dessen gesamten Lebenszyklus. Vertriebsprofis nutzen die Produktkonfiguration verstärkt im Marketing und beeinflussen Entscheidungsfindungen des Kunden über konfigurationsbasierte Produktempfehlungen in einer frühen Phase des Verkaufsprozesses. Sie nutzen Marktpreis­-Strategien, bieten Options­-Pakete an und analysieren über Analytics-­Lösungen nachgefragte Produktoptionen, um im Anschluss weniger nachgefragte Optionen höher zu bepreisen. Durch diese Maßnahmen erreichen sie eine stärkere Standardisierung des Produktportfolios und eine Reduktion von Kundensonderwünschen. Vertriebsprofis nutzen die Produktkonfiguration zur Erreichung strategischer Ziele im Markt.

Fazit

Produktkonfiguration ist heute eine Management-­Kompetenz, ist cross­-funktional, erfordert C-­Level Fokus und kann, wenn richtig implementiert, Strategie­„Enabler“ sein.

Die Autoren:

Donald Wachs ist seit 24 Jahren bei BearingPoint und verantwortet den Bereich Industrial Manufacturing und Digital & Strategy. Sein Fokus liegt in der Digitalisierung (Industrie 4.0 und IoT), Prozessberatung in den Bereichen Kundenmanagement, einschließlich Angebotsmanagement und Supply Chain Management sowie Programm Management sehr großer, umfassender SAP-Programme. 

 

Andreas  Discher, seit 20 Jahren bei BearingPoint, hat die GEXSO-Initiative ins Leben gerufen. Sein Fokus liegt auf Supply Chain Excellence und Digitalisierungsprojekten im Industrial Manufacturing.